Angesichts der sich auch hierzulande inzwischen wieder verschlechternden Zahlen geht auch bei uns wieder das Schreckgespenst der dritten Welle um. Wobei die zweite Corona-Welle ja eigentlich noch nicht einmal vorbei ist. Stattdessen kam es zu einer Abflachung der sinkenden Kurven auf einem noch immer bedenklich hohen Niveau, bevor sie dann in den letzten Tagen sogar wieder zu steigen begannen – zumindest was die Zahl der bestätigten Neuansteckungen angeht. Zwischen dem 7. und dem 13. Dezember eine Zunahme von neun Prozent. Korrekterweise muss man aber auch darauf hinweisen, dass mehr getestet wird. Wobei diese neun Prozent nur der landesweite Durchschnitt sind, in verschiedenen Regionen, insbesondere in Flandern, ist die Steigung zweistellig.
Der Biostatistiker Geert Molenberghs warnt in Het Nieuwsblad auch bereits, dass dieser Trend in den Weihnachtsferien wieder umgekehrt werden müsse. Ob das gelinge, werde man sehen müssen, die Festtage seien in dieser Hinsicht ein zweischneidiges Schwert.
Lockerungen unwahrscheinlich
Premierminister Alexander De Croo (OpenVLD) hat denn auch die Marschrichtung deutlich vorgegeben: Lockerungen lägen angesichts der Zahlen nicht auf dem Tisch des Konzertierungsausschusses. Es gebe nur eine Priorität: Die Zahlen müssten wieder nach unten. Die vergangenen Wochen, in denen sich Belgien im europäischen Vergleich mehr als deutlich verbessert hatte, seien der Beweis, dass man das mit entsprechenden Anstrengungen auch schaffen könne, so De Croo.
Das sehen andere aber skeptischer. Der bekannte Virologe Marc Van Ranst warnte bereits, dass es ohne zusätzliche Maßnahmen nicht einfach werde, die Weihnachtszeit halbwegs gut zu überstehen. Dirk Devroey, Professor für Allgemeinmedizin, plädiert sogar für einen "kurzen und effizienten Lockdown" wie in den Nachbarländern. Das sei besser als halbherzige Entscheidungen, die sich lange hinzögen und doch wenig brächten, so Devroey.
Der föderale Minister für Volksgesundheit, Frank Vandenbroucke (SP.A), betonte derweil zwar, dass die Einhaltung der existierenden Regeln strenger durchgesetzt würde, etwa durch höhere Strafen für Lockdown-Partys oder mehr Kontrollen bezüglich des Arbeitens von zu Hause aus. Aber er sagte auch, dass es auch weitere Maßregeln gebe, über die nachgedacht werden müsse. Die Expertengruppe zur Covid-19-Krisenstrategie (GEMS), die die politisch Verantwortlichen berät, empfiehlt laut La Dernière Heure auch, eine Wieder-Schließung der Geschäfte zu prüfen, falls die Corona-Zahlen weiter steigen, und auch eine strengere Kontrolle der Einhaltung der Pflichtquarantänen.
MR für härtere Durchsetzung der Regeln
Georges-Louis Bouchez, der Vorsitzende der frankophonen Liberalen MR, lehnte derweil in der RTBF eine Verschärfung der Schutzmaßregeln ab. Für die meisten Menschen, die sich doch an die Regeln hielten, wäre das doch eine doppelte Bestrafung. Nicht nur müssten sie mit den Einschränkungen leben, sondern müssten auch noch neue fürchten, obwohl sie die alten gewissenhaft befolgten, so Bouchez. Und auf der anderen Seite gebe es dann die Minderheit der Menschen, die gegen die Regeln verstießen und dafür nicht ausreichend bestraft würden.
Deswegen fordere seine MR eben auch eine härtere Durchsetzung der Regeln und konsequentere und deutlichere Bestrafungen. Einfach nur zahlen zu müssen, sei beispielsweise bei Wiederholungstätern oft nicht pädagogisch.
Außerdem müsse man auch als Strafen etwa gemeinnützige Arbeiten in Betracht ziehen, damit auch Menschen ohne ausreichende Finanzmittel sinnvoll sanktioniert werden könnten. Die Kontrollen müssten gezielter sein, man dürfe nicht die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellen, so Bouchez. Man müsse den Menschen vor allem vertrauen, dass sie die Regeln einhielten.
Motivieren
Wie konkret über Verschärfungen nachgedacht wird, ist aber laut eines nicht genannten Mitglieds des Konzertierungsausschuss, das Het Nieuwsblad zitiert, sowieso eine andere Frage. Auch La Dernière Heure sieht zumindest für die Ladenschließungen keinen politischen Willen. Eine nicht namentlich genannte gut informierte Quelle wird aber mit den Worten zitiert, dass das – wenn nötig – durchaus vor Silvester passieren könne. Man wolle nicht die Fehler vom letzten Mal wiederholen.
Was hingegen wohl eher nicht zur Debatte steht – zumindest nicht, bis sich die Lage dramatisch verschlechtert, ist eine Verlängerung der Weihnachtsferien. Gleiches gilt für eine Einschränkung des Bewegungsradius' der Menschen.
Was aber im Zentrum der Sitzung am Freitag stehen soll, sind dem Vernehmen vor allem zwei Schwerpunkte: die Umsetzung beziehungsweise Durchsetzung der bestehenden Regeln und die Motivation der Menschen, sich weiter an die Regeln zu halten. Weitere Punkte auf der Tagesordnung sind wohl die Verteilung der Mittel aus dem europäischen Corona-Hilfsfonds und Details der belgischen Impfstrategie.
Boris Schmidt
Georges-Louis Bouchez ist in der Vergangenheit viel kritisiert worden; ich kann ihm an dieser Stelle aber nur uneingeschränkt beipflichten: Wir brauchen keine zusätzlichen Maßnahmen, sondern vielmehr eine Einhaltung der bereits bestehenden.
Fast alle Maßnahmen die über die AHA(L)-Regeln hinaus gehen, sind nur deswegen notwendig, weil zu viele Menschen ihre individuelle „Freiheit“ höher bewerten, als ihre und die Gesundheit ihrer Mitmenschen.
Wenn die Vernunft und das Verantwortungsbewusstsein der Menschen nicht ausreicht, bleibt einer Regierung, die das Allgemeinwohl, die Volksgesundheit und zu diesem Zweck den Schutz der Gesundheitssysteme, als prioritäres Ziel in einer Pandemie definiert hat, bedauerlicherweise nichts anderes übrig, als „Zwangsmaßnahmen“ zu verhängen.
Es gibt keine andere Zauberformel. Auch in den Niederlanden und selbst in ... Schweden nicht.
Wenn alle Appelle auch für die Weihnachtszeit - wie zu befürchten ist - nicht fruchten, sind neue oder weitere Einschränkungen unumgänglich oder wie wollen Sie die „Ungläubigen“ überzeugen und motivieren, Herr Lusczyck?
Ja, das ist ungerecht, vor allem gegenüber denjenigen, die sich verantwortungsvoll verhalten.
Aber mit Gerechtigkeit hat dieses Virus nichts am Hut. Es liegt nur an uns.
PS. Ja, FFP2-Masken, können (nicht nur bei Risikogruppen) einen Beitrag leisten!
Werter Herr Leonhard, ich verstehe Ihre Argumentation und ich will auch nicht so vermessen sein, zu behaupten, dass ich ein Patentrezept zum Umgang mit der Pandemie gefunden hätte.
Was ich aber zu bedenken geben möchte, ist, dass es darum geht, verhältnismäßig lange Zeiträume zu überbrücken.
Ich greife jetzt mal eine konkrete „harte“ Maßnahme heraus: Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
In Frankreich wurde genau drauf zurückgegriffen; unlängst gab es eine Lockerung, d.h. man darf sich wieder frei im Land bewegen.
Gestern wurden bei unseren südlichen Nachbarn 17.615 Neuinfektionen nachgewiesen; in Deutschland waren es 33.825, in Belgien 3.636.
Wenn ich, um einen Vergleichsmaßstab zu haben, das auf die Bevölkerungszahl Deutschlands hochrechne, hätte Frankreich 21.830 und Belgien 26.340 Neuinfektionen.
Alles keine guten Zahlen, der entscheidende Punkt aber ist: Frankreich steht mit seinen viel härteren Maßnahmen auch nicht viel besser dar; - und dort sind die Zahlen wieder im Steigen begriffen.
Die simple Gleichung »besonders hart = besonders wirksam« gilt also nicht.
@LR Juscyck
Ich bin kein Verfechter „harter Maßnahmen“! Im Gegenteil!
Auch mir wäre es lieber, wenn Vernunft und Eigenverantwortung alle „harten Maßnahmen“ überflüssig machten.
Immer mehr Virologen, Politiker, ... sprechen davon, „langfristige“, „intelligente“ und „nachhaltige“ Strategien zu entwickeln. Aber worauf warten sie nach 9 Monaten?
Außer dem Hinweis darauf, die „Risikogruppen“ zu schützen - wie dies in der Praxis machbar sein soll, sagt niemand - mangelt es an Vorschlägen, für diese intelligenten Strategien.
Ja, FFP2-Masken können helfen, sind aber alleine nicht ausreichend, wenn bereits das Tragen sonstiger Masken von einem Teil boykottiert wird. Von den anderen Regeln ganz zu schweigen.
Die intelligenteste und nachhaltigste Strategie besteht in der individuellen Anpassung seiner Verhaltensweise, bis eine wie auch immer zustande gekommene Herdenimmunität greift oder das Virus seine Eigenschaften verändert.
Ich kann die Streecks und Chanasys nicht mehr hören, die seit Monaten intelligente Strategien anmahmen, ohne praktikable und erfolgversprechende Konzepte dazu vorlegen zu können.
Butter bei die Fische!