Die Baugerüste des Brüsseler Justizpalastes, die Brüsseler S-Bahn und jetzt der Bahnhof von Mons - Belgien ist um eine unendliche Geschichte reicher.
Der Bahnhof von Mons müsste eigentlich schon seit fünf Jahren stehen. 2006 wird das Projekt schon auf die Schienen gesetzt. Damals allerdings ging es gar nicht um einen Bahnhof, sondern um eine, zugegeben etwas imposantere Fußgängerbrücke. Seit Jahrzehnten wünschte man sich in Mons eine Verbindung zwischen der historischen Altstadt und dem geschäftigen Quartier des Grands Près, denn dazwischen liegt eben der Bahnhof. Genau deswegen ist es denn auch die nationale Eisenbahngesellschaft SNCB, die hier federführend aktiv wird.
Prestigeprojekt
Die Passerelle wird also ausgeschrieben. Ein Concours wird organisiert. Gewinner ist der Stararchitekt Santiago Calatrava, der ja auch schon den Lütticher Bahnhof designt hat. Aus der Fußgängerbrücke wird damit ein Prestigeprojekt.
Schon damals gab es böse Zungen, die hier ein innerwallonisches "Waffeleisen" vermuteten - nach dem Motto: Wenn Lüttich einen Calatrava kriegt, dann muss die Provinz Hennegau auch einen bekommen.
Nur entwickelt sich das Projekt schnell zu einem Albtraum. Die Arbeiten kommen nicht wirklich voran, und das wird sich in den darauf folgenden Jahren auch nicht ändern. Zwei Bauunternehmer haben inzwischen schon Konkurs anmelden müssen.
Naja, das Ganze hätte wohl durchaus besser gemanagt werden können, räumt Patrice Couchard in der RTBF ein. Er ist der bei der SNCB zuständige Direktor für die Bahnhofsinfrastruktur. "Er würde nicht 'schlecht' sagen, aber man müsse doch seine Lehren daraus ziehen."
Das mag wohl auch damit zu tun haben, dass das Projekt in der Zwischenzeit "mutiert" ist. Zwar ist es immer noch eine Fußgängerbrücke, doch ist der sich darunter befindliche Bahnhof jetzt Teil des Konzepts: Der alte Bahnhof wurde jedenfalls abgerissen.
Verzehnfachung der Kosten
Und hier wird die RTBF-Reportage dann richtig brisant. "Die Projekte sind nicht mehr vergleichbar", sagt Thomas Cambier, ein Anwalt, der auf Vergaberecht und öffentliche Aufträge spezialisiert ist. Denn, nicht vergessen: Ausgeschrieben hat man seinerzeit einzig und allein eine Fußgängerbrücke; ganz ausdrücklich. Jetzt wird allerdings ein neuer Bahnhof gebaut. "Wir sprechen also nicht mehr von demselben Projekt, und entsprechend sprechen wir auch nicht mehr von demselben Budget. Und das wirft ein grundlegendes rechtliches Problem auf."
"Nicht mehr das gleiche Budget". Das kann man wohl sagen. Das ursprüngliche Projekt war auf 37 Millionen Euro veranschlagt worden. Inzwischen steht die Zahl 324 Millionen im Raum. Beinahe eine Verzehnfachung.
Insgesamt kann man das als eine "substanzielle Veränderung des ursprünglichen Projekts" betrachten; entsprechend wäre das illegal. Und das würde wohl ein Richter genauso sehen, glaubt Anwalt Thomas Cambier. Das wäre dann doch ein dicker, oder besser gesagt "noch" dickerer Hund...
Denkmal für Di Rupo?
"Mons". Wer in der Wallonie "Mons" sagt, der sagt "Elio Di Rupo". Mons ist die Heimatstadt des wallonischen Ministerpräsidenten. 18 Jahre lang war er dort Bürgermeister. Auch in der Zeit, in der das Calatrava-Projekt beschlossen wurde. Von Anfang hatten Kritiker Di Rupo unterstellt, dass er sich hier habe ein Denkmal setzen wollen.
"Er habe keinerlei Einfluss gehabt", beteuert er seit eh und je. Er sei zwar Vorsitzender der Jury gewesen, aber nur eins von insgesamt elf Mitgliedern. Die Projekte seien zudem anonymisiert worden. Und auch im weiteren Verlauf habe er keinerlei Einfluss ausgeübt. Auch nicht, als die Wallonische Region 2012 die Genehmigung für den Bahnhof erteilt hat. "Glauben Sie wirklich, dass eine einzelne Genehmigung zum Gegenstand eines Regierungsabkommens wird?"
Das vielleicht nicht. Wie die RTBF unter Berufung auf ungenannte Quellen berichtet, habe Di Rupo aber durchaus hinter den Kulissen auf die Waagschale eingewirkt. Nicht vergessen: Er war damals auch Vorsitzender der PS. Und, ums mal so auszudrücken: Einer seiner Vorgänger in der Funktion trug den Beinamen "Dieu", Gott.
Resultat jedenfalls: Ein Bahnhof, der wohl erst 2023 fertiggestellt wird - acht Jahre später als geplant - und der inzwischen zehn Mal teurer ist als veranschlagt. Laut RTBF hätte die SNCB für das gleiche Geld über 100 kleinere Bahnhöfe renovieren können.
Roger Pint
Ob die ägyptischen Pharaonen, römischen Kaiser oder die Roten Barone der Wallonie. Potentaten wollten sich immer unsterblich machen durch große Bauwerke.
Eine "histoire belge" mehr, die für Unterhaltung sorgt.