Das Ganze hat auch politisch so eine Brisanz, dass es sogar den seit Monaten in eigentlich fast jeder Kammerdebatte präsenten Dauerbrenner Corona-Krise am Donnerstag in den Hintergrund gedrängt hat.
Aber noch mal kurz von vorne: Dass Belgien aus der Atomenergie aussteigen soll, wurde bereits 2003 beschlossen. Allerdings war das tatsächliche Ausstiegsdatum immer wieder weiter nach hinten geschoben worden. Zuletzt hatte man sich auf 2025 als Stichdatum für das Ende der Atomenergie im Land geeinigt. Wie realistisch oder ernst gemeint das vonseiten der Politik war, das spielt plötzlich aber eine eher untergeordnete Rolle. Denn offensichtlich hatte der Betreiber Engie Electrabel die Nase auch voll vom ständigen Hin und Her und der damit einhergehenden Unsicherheit und kündigte an, sämtliche Investitionen, die notwendig wären, um die Meiler länger als 2025 am Netz zu lassen, zu streichen.
Hintertürchen zugeschlagen
Eigentlich hatte die Politik sich das Hintertürchen gelassen, die Atomreaktoren Doel 4 und Tihange 3, also die beiden jüngsten Reaktoren, doch noch länger als 2025 laufen zu lassen. Falls sich Ende nächsten Jahres herausstellen sollte, dass sie für die Energiesicherheit unverzichtbar sein sollten. Soweit der Plan. Aber dieses Türchen scheint Engie zugeschlagen zu haben.
Die grüne föderale Energieministerin Tine Van der Straeten freute sich aber eher über die Aktion von Engie. Und sie kündigte an, am vorgegebenen Zeitplan festhalten zu wollen.
Diese Vorgänge und ihre möglichen Folgen standen am Donnerstag denn auch im Zentrum der Kammerdebatte. Und die Opposition nutzte die Gelegenheit, um die regierende Vivaldi-Koalition unter Druck zu setzen. Die CDH etwa giftete, dass die Grünen wohl vor Freude auf dem Tisch getanzt hätten, weil sie den Rest der Regierung nicht mehr überzeugen mussten, den nuklearen Stecker zu ziehen. Das habe Engie ja selbst getan. Unbeantwortet seien auch die Fragen nach der Energiesicherheit, zusätzlichen Kosten für die Bürger oder eine höhere Umweltbelastung durch mehr CO2-Ausstoß etwa durch Gaskraftwerke.
Der Vlaams Belang geißelte die "bereits jetzt sichtbare Spur der Verwüstung" und den angeblichen Würgegriff der Grünen. Heftige Kritik übte der Belang auch am möglichen Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen. Und dass vor allem die Nachbarländer davon profitieren würden, wenn Belgien sich in neue Energie-Abhängigkeiten begebe.
Und die N-VA schließlich behauptete, dass die Vivaldi-Regierung und insbesondere Energieministerin Van der Straeten versuchten, kritische Stimmen mundtot zu machen. Als Beweis dafür sieht die N-VA, dass die Ministerin eine Studie der unabhängigen Energieregulierungskommission (CREG) über die Kosten eines Blackouts gestoppt hat.
Strikte und gründliche Evaluierung
Zu diesen teils sehr heftigen Angriffen bezog zunächst Premierminister Alexander De Croo selbst Stellung. Man halte sich an den vereinbarten Kalender über den Atomausstieg. Und an das, was in der Regierungsvereinbarung stehe. Aber er betonte deutlich, dass für seine Regierung natürlich Bezahlbarkeit und Energiesicherheit zentral seien.
Man werde kontinuierlich überwachen, wie sich die Preise und Kapazitäten der belgischen Stromquellen entwickelten. Und wenn man feststelle, dass es zu Problemen oder Engpässen komme, werde man eben regulierend eingreifen. Die Evaluierung der Situation werde strikt und gründlichst erfolgen - und zwar rein auf Basis von Zahlen, nicht von Ideologien. Dieses Vorgehen sei pragmatisch. Und außerdem sei das ständige Vor-sich-her-Schieben von Entscheidungen doch auch keine echte Art und Weise, für die Zukunft zu planen.
Es sei jetzt so endlich Schluss mit der ewigen Undeutlichkeit und Zauderei. Die Zukunft bereite man vor, indem man sein Vorgehen auf Realismus basiere und auf deutlichen und vernünftigen Entscheidungen. Und das sei das, was seine Regierung tue, so De Croo.
Auch die grüne Energieministerin verteidigte sich gegen die Vorwürfe der Opposition und wies auch die Kritik zurück, die Studie über die Kosten eines Blackouts unterdrücken zu wollen. Vielmehr werde das jetzt von der föderalen Ebene in Zusammenarbeit mit dem Planbüro realisiert. Man habe mit der CREG gesprochen, diese habe sich zufrieden mit der Entscheidung gezeigt, die Deutlichkeit bringe. Die bereits erarbeiteten Daten der CREG würden auch weiterverwendet werden.
Und was die Abwicklung der Atomkraftwerke angehe, da werde man sicherstellen, dass das auf eine ordentliche Art und Weise geschehe – sowohl in technischer als auch in sozialer Hinsicht. Die Zukunft, die baue man zusammen. Und zwar ab heute. Und man werde dafür nach vorne schauen, und nicht in der Vergangenheit stecken bleiben, so Van der Straeten.
Boris Schmidt