Es ist das Wort "Lockdown", das wieder wie eine dunkle Wolke über uns zu hängen scheint. Also allgemeine und massive Einschränkungen, um die Ausbreitung des Coronavirus zumindest soweit zu bremsen, dass das Gesundheitssystem nicht zusammenbricht. Die politisch Verantwortlichen scheuen den Begriff meist. Zu groß sind die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und anderen Schäden, die infolge des ersten Lockdowns zu beklagen sind. Andererseits ist auch mehr als deutlich, dass die Lage dramatisch ist - und noch viel dramatischer zu werden droht.
Belgien hatte ja bereits eine deutliche Verschärfung der Corona-Regeln beschlossen. Der letzte Konzertierungsausschuss ist noch keine Woche her. Und das ist auch das zentrale Problem: Eigentlich ist die Zeit, die seit Inkrafttreten der letzten Maßnahmen vergangen ist, viel zu kurz, um irgendwelche Auswirkungen sehen zu können. Gerade mal etwas über drei Tage nämlich. Und man geht davon aus, dass man zehn bis 14 bräuchte, um einen Effekt festzustellen. Das weiß auch die Politik. Sie steht aber gleichzeitig unter dem enormen Druck, dass die Situation komplett und katastrophal entgleisen könnte, falls die Maßnahmen dann keine ausreichende Wirkung zeigen sollten. Ein teuflisches Dilemma für die Regierungen des Landes, die sich am Freitag wieder zusammensetzen müssen.
Für den Epidemiologen Pierre Van Damme muss alles daran gesetzt werden, um Zwischenlösungen zu finden, aber ein Lockdown liege ganz klar auf dem Tisch. Auch sein Kollege Yves Coppieters fordert strengere Maßnahmen. Der Virologe und Ex-Krisenzentrum-Sprecher Emmanuel André hat bereits gefordert, sofort neue Regeln zu erlassen. Er schlägt unter anderem die Schließung aller nicht-essentiellen Geschäfte vor.
Gerade aus der frankophonen Politik kommen auch Stimmen, die eine Verschärfung fordern. Was wenig verwundert, ist der Süden des Landes für den Moment doch noch stärker betroffen als der Norden. Der wallonische Ministerpräsident Elio Di Rupo hält neue Maßnahmen für unvermeidlich. Der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez hat sich ähnlich geäußert.
Flämische Politiker wehren sich hingegen gegen ein solches Vorgehen. Die N-VA beispielsweise fordert stattdessen, strengere Maßregeln nur da zu beschließen, wo es auch tatsächlich unabwendbar sei. Sprich lokale, statt föderale Verschärfungen. Entsprechend äußerte sich Bart De Wever auf Twitter. Die flämische CD&V-Wirtschaftsministerin Hilde Crevits kündigte in der VRT an, alles daransetzen zu wollen, um einen Lockdown zu verhindern.
Corona-Barometer
Auf der Agenda des Konzertierungsausschusses für Freitag steht offiziell vor allem die Vorstellung des langerwarteten Corona-Barometers und Nachjustierungen für bestimmte Sektoren, zum Beispiel für Sport, Kultur und Veranstaltungen. Auch verkürzte Einkaufszeiten oder eine Begrenzung der Personen und andere sanitäre Schutzmaßnahmen in Geschäften könnten diskutiert werden. Von tatsächlichen Plänen für weitreichendere allgemeine, landesweite Verschärfungen ist hingegen nichts bekannt geworden. Man müsse erst den Effekt der bereits existenten Maßnahmen abwarten, sagte unter anderem Innenministerin Annelies Verlinden am Donnerstagmorgen bei der RTBF.
Hierbei wird wohl besonders darauf gehofft, dass die Schließung der Cafés und Restaurants sich in den nächsten Tagen deutlich in den Kurven bemerkbar machen wird. Einen Lockdown versuche man zu vermeiden, fügte Verlinden hinzu. Allerdings werde man sehen müssen…
La Dernière Heure jedenfalls meldet, dass bisher noch keiner der involvierten Minister allgemeine Ausgangsbeschränkungen oder eine Schließung der Schulen vorgeschlagen hat. Außerdem gibt es wohl auch bei der föderalen Regierung die Tendenz, noch eher auf lokale Verschärfungen zu setzen, beispielsweise durch die Provinzgouverneure - wie es im Sommer ja in Antwerpen passiert ist - oder noch lokaler durch Bürgermeister.
Landesweite Maßnahmen könnten dann aber schon nächste Woche auf dem Menü stehen. Aber schon jetzt ist laut Het Laatste Nieuws eine fünfte Phase im Corona-Barometer vorgesehen, die nicht ohne Grund die Farbe schwarz tragen soll. Die würde dann bedeuten: vollständiger Lockdown. Das sei dann die wirklich allerletzte Option. Noch setze die Regierung aber darauf, das durch Änderungen im Verhalten der Menschen abwenden zu können. Aber wie man von anderen Konzertierungsausschüssen weiß: Was am Freitag beschlossen wird oder nicht, das wissen wir erst wirklich, wenn es offiziell verkündet worden ist.
Boris Schmidt