Im Schnitt hat es in der Woche vom 2. bis zum 8. Oktober in Belgien jeden Tag 4.145 Neuinfektionen mit dem Coronavirus gegeben. Das ist im Vergleich zur Woche davor eine Steigerung von 89 Prozent. An Spitzentagen waren es sogar weit über 6.000 neue Ansteckungen. Und mittlerweile kommt auch schon mehr als jeder zehnte gemachte Test mit einem positiven Ergebnis zurück.
Die starke Zunahme ist jetzt, mit der erwarteten Verzögerung, auch an den Krankenhausneuaufnahmen abzulesen. Und auch die Zahl der Menschen, die wieder an dem Virus sterben, steigt eindeutig. Und diese Situation jagt Angst ein, erklärte die Virologin Erika Vlieghe in De zevende dag. Sie wolle nicht zu dramatisch klingen, aber das Ganze sei einfach dramatisch.
Wenn es schon ein Corona-Barometer gäbe, dann befände sich Belgien zwar noch in der orangen Phase, aber ganz eindeutig auf dem Weg nach Rot. Es ginge nicht darum, den Menschen einen Schreck einzujagen, so Vlieghe. Aber man müsse ehrlich und aufrichtig sein: Die Situation sei nicht gut.
Dem pflichtete auch der Mikrobiologe Herman Goossens von der Universitätsklinik Antwerpen am Morgen in De Ochtend bei. Die Zahlen seien beängstigend. Die Zunahme sei exponentiell und nehme Fahrt auf. In manchen Provinzen sei die Reproduktionszahl bereits auf zwei gestiegen.
Noch stiegen die Krankenhaus- und Totenzahlen nicht so schnell wie die Ansteckungen, aber wenn sich der Trend so fortsetze, dann werde der Deich zwischen den Generationen brechen. Und dann wäre die Lage in der Tat dramatisch, so Goossens.
Das unterstrich auch Marc Noppen, Direktor des Universitätskrankenhauses Brüssel. Auf die starke Zunahme der positiven Tests würde zwei Wochen später der Ansturm bei den Hausärzten folgen, dann zwei Wochen später bei den Krankenhäusern, danach bei den Intensivstationen und schließlich in den Leichenhallen. Und das sei das, was momentan passiere, warnte Noppen.
Sehr ähnlich sieht das der Biostatistiker Geert Molenberghs. Aus der ersten Welle wisse man, dass diese Zahlen schlagartig ansteigen könnten. Und deshalb dürfe man auf keinen Fall warten, bis das passiere. Und auch das Argument, dass während der ersten Welle ja viel weniger Tests durchgeführt worden seien, lässt er nicht gelten.
Die Anzahl der Tests mache zwar einen Unterschied. Wichtig sei aber, dass man es jetzt mit einer sehr schnellen Zunahme zu tun habe. Und das sei ein großes Problem, sagte Molenberghs auf Radio 2.
Und es sei eben auch so, dass ein Lockdown quasi ein Tabu sei, sagte Vlieghe. Auch wenn das im März und April Leben gerettet hätte, hieße es nun, dass man so etwas nicht wiederholen wolle. Und dann müsse man eben nachdenken, was man stattdessen unternehmen wolle. Weil handeln müsse man jetzt, und zwar schnell.
Auch der Epidemiologe Pierre Van Damme will keinen zweiten Lockdown. Man müsse alles tun, um Betriebe und Schulen offenzuhalten. Und aber auch dafür sorgen, dass die Krankenhäuser die Situation bewältigen könnten.
Dazu beitragen könne wieder mehr Home Office und mehr Distanzunterricht zum Beispiel an den Universitäten. Und auch Einschränkungen beim Sport in geschlossenen Räumen. Man müsse alle Veranstaltungen stoppen, bei denen es zu sogenannten "Superverbreitungen" kommen könne, forderte auch Herman Goossens. Und dazu gehöre eben zum Beispiel Indoor-Sport.
Maßnahmen beim Amateursport und auch bei den Jugendaktivitäten befürwortet auch Geert Molenberghs, ebenso wie beim Arbeiten von zu Hause aus. Auch Versammlungsverbote und Sperrstunden könnten helfen. Auch für ihn müssen die Schulen so lange wie möglich offenbleiben. Allerdings sollte auch hier wieder über mehr Online-Unterricht nachgedacht werden. Ein Lockdown sei noch nicht für heute und auch nicht für morgen.
Da seien noch verschiedene Zwischenschritte beziehungsweise -maßnahmen möglich. Aber man müsse natürlich damit rechnen, dass es trotzdem noch so weit kommen könne, so Molenberghs.
Boris Schmidt