Isabell Loeb, Chefin des Universitätskrankenhauses Saint-Pierre, zeichnet ein düsteres Bild: Die Brüsseler Krankenhäuser erreichen langsam ihre Kapazitätsgrenze. Die für Corona-Patienten reservierten Betten sind nahezu voll belegt.
Die Hauptstadtregion verzeichnet derzeit über 4.000 Neuansteckungen pro Woche. Die Zahl der Infizierten war landesweit schon länger gestiegen. Besorgniserregend ist nun, dass auch andere Kennzahlen mittlerweile in die Höhe schnellen.
Die Zahl der Krankenhauseinweisungen zeigt, dass das Virus längst nicht mehr hauptsächlich unter jungen Menschen grassiert. Sondern es hat wieder die älteren Generationen erreicht. Und für die ist es besonders gefährlich.
In Brüssel mussten deshalb nun alle Bars und Cafés schließen. Mindestens für einen Monat wird das soziale Leben der Hauptstadt erneut stark eingeschränkt.
Krankenhauschefin Loeb, die an vorderster Front mit dem Virus zu kämpfen hat, sieht diese Maßnahmen allerdings durchaus kritisch. "Ich denke, immer striktere Maßnahmen zu ergreifen, wird immer schwieriger. Denn die Menschen sind es einfach leid, besonders die jungen Leute, ihr Leben nicht so leben zu können, wie sie wollen."
Umstrittene Maßnahme
Der Allgemeinmediziner und Professor an der Universität Gent, Jan De Maeseneer, hält die Maßnahme auch nicht für unbedingt sinnvoll. Bisherige Untersuchungen hätten gezeigt, dass tatsächlich bei weitem die meisten Ansteckungen im Familien- und Freundeskreis geschehen. Nur wenige davon aber nachweislich in Bars und Restaurants.
Durch die Schließungen erreiche man ja nur einen einzelnen Teil des Spektrums, findet Professor De Maeseneer. "Wir kennen auch noch nicht alle Wege des Virus. Das muss uns eigentlich lehren, dass wir nicht eine Gruppe oder einen Sektor stigmatisieren sollten."
Der Mediziner spricht sich vor allem für eine sehr genaue Kontaktnachverfolgung aus. Und zwar in zwei Richtungen: Bei wem hat sich der Patient angesteckt und wen hat er selbst infiziert?
Auf lokaler Ebene seien in vielen Städten Stellen eingesetzt worden, die es erlauben, Infektionsketten genau nachzuzeichnen. "Das sind sehr interessante Informationen, um dann allzeit die richtigen Antworten auf die spezielle Situation zu finden", sagt De Maeseneer.
Das ist De Maeseneers Meinung. Es gibt natürlich auch andere Expertenstimmen, die sich für scharfe und allgemeingültige Einschränkungen stark machen. Genauso wenig, wie wir alles über das Coronavirus wissen, ist auch diese Debatte bislang abgeschlossen.
Brennpunkt Krankenhäuser
Einigkeit herrscht allerdings bei einem Punkt: Dass der Gesundheitssektor gestärkt und besser auf solche Situationen vorbereitet werden muss. Denn richtig schlimm wird es, wenn großflächig die Kapazitätsgrenzen der Krankenhäuser erreicht werden.
Isabell Loeb vom Universitätskrankenhaus Saint-Pierre sagt dazu: "Wir wissen alle, dass der Gesundheitssektor unterfinanziert ist. Es hat jetzt einige Besserungen gegeben, aber er bleibt unterfinanziert. Da muss es ein grundsätzliches Umdenken geben."
Die neue Föderalregierung hat genau das in Aussicht gestellt. Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung im Gesundheitssektor sollen sich bessern. Auch um die Berufe attraktiver zu machen. "Ich kann nur hoffen, dass das keine leeren Versprechungen sind", kommentiert die Krankenhauschefin.
Alarm: 5.700 Corona-Neuinfektionen in den letzten 24 Stunden
Peter Eßer