Sie sollen demnach "so schnell wie möglich" ihren Abschlussbericht präsentieren. Die Uhr tickt. Am Donnerstag will die neue Koalition vor dem Parlament die Regierungserklärung vorstellen. Doch drängt die Zeit so oder so. Denn die Wirtschaftsaussichten bleiben trüb. Ein Indiz: Wir geben immer noch weniger Geld aus als in Vor-Corona-Zeiten.
Die Wirtschaft will einfach nicht wieder so richtig in Gang kommen. Und das bereitet Ökonomen und auch politisch Verantwortlichen zunehmend Sorgen. Am Vivaldi-Verhandlungstisch dürfte genau dieses Problem auch im Moment in aller Munde sein. Denn, wenn über den Haushalt geredet wird, dann geht es zwar oft um Ausgaben, aber dabei sollte man natürlich auch die Einnahmen nie aus den Augen verlieren. Und die sind seit Corona doch ziemlich weggebrochen.
Binnennachfrage
Es gibt da verschiedene Gradmesser, die die Windrichtung angeben. Einer davon, das ist die Binnennachfrage. Und die hat sich die ING-Bank mal genauer angeschaut: Fast 400 Millionen Geld-Transaktionen ihrer Kunden hat ING analysiert. Genau gesagt hat man sich das Gesamtvolumen der Geldabhebungen und der Überweisungen angeschaut. Und zwar die sogenannten "variablen Ausgaben", also alles, was nicht zur Deckung der Fixkosten dient, wie Mieten, Raten, Steuern oder Energie-Rechnungen. Und das Ergebnis kann man mit einem Satz zusammenfassen: Der Rubel rollt nicht. Präziser wäre: Er rollt immer noch nicht.
Dass wir während des Lockdowns weniger Geld ausgegeben haben, das dürfte niemanden überraschen. In der Zeit, grob gesagt, zwischen Mitte März und Mitte Mai war es ja so, als hätte eine unsichtbare Hand die Pausentaste gedrückt. Das kann man auch beziffern: In dieser Zeit wurde ein Drittel weniger Geld unter die Leute gebracht. Der Grund ist einleuchtend: Es fehlte schlichtweg die Gelegenheit dazu, da man ja im Wesentlichen dazu verdammt war, zu Hause zu sitzen.
Die eigentliche Erkenntnis, die betrifft die Zeit danach. Natürlich ist seit den Lockerungen der Corona-Beschränkungen wieder mehr Geld im Umlauf. Doch ist es weniger als in Vor-Corona-Zeiten. Im Juli und August haben wir acht Prozent weniger ausgegeben als im Sommer vergangenen Jahres.
Verunsicherung
Für den ING-Chefökonomen Peter Vanden Houte gibt es da kein Vertun: Das liege daran, dass die Menschen schlicht und einfach verunsichert sind, sagte Vanden Houte in der VRT. Die Bürger blicken mit Sorge auf den Arbeitsmarkt, haben Angst vor der Zukunft, fürchten gar, ihren Job zu verlieren. Und die Folge ist, dass sie sparen und entsprechend weniger Geld ausgeben. Je größer die Unsicherheit, desto eher wird gespart, das ist ja quasi schon ein Naturgesetz.
Dass weniger Geld ausgegeben wird, das trifft aber nicht alle Sektoren gleichermaßen. Aus den Daten der ING-Bank geht hervor, dass sich etwa der Umsatz in der Bekleidungsbranche im Sommer deutlich erholt hat. Und, eher überraschend: In Kneipen und Restaurants haben wir in den Sommermonaten genau so viel ausgegeben wie im vergangenen Jahr.
Reisebranche besonders betroffen
Einer der großen Verlierer ist demgegenüber die Reisebranche, vor allem diejenigen, die mit Auslandsreisen ihr Geld verdienen. In diesem Jahr war für viele "Staycation" angesagt, also Urlaub im eigenen Land, in der näheren Umgebung. Weil eben Ferien im Ausland oft mit zu vielen Unwägbarkeiten verbunden waren. Insgesamt haben die Belgier in diesem Jahr 50 Prozent weniger für ihren Urlaub ausgeben.
ING-Ökonom Peter Vanden Houte befürchtet aber, dass das kein vorübergehendes Phänomen ist. Er rechnet nicht mit einer spürbaren Trendumkehr in den nächsten Monaten. "Wir sind hier in einem Teufelskreis: Zukunftsangst lähmt die Binnennachfrage. Das setzt die Wirtschaft zusätzlich unter Druck und das wiederum verstärkt die Sorgen bei den Menschen."
90-Prozent-Wirtschaft
Hinzu kommt: Einige Sektoren haben nach wie vor ihre Aktivitäten nicht oder nur teilweise wieder aufnehmen können. "Man könnte die derzeitige Lage als '90-Prozent-Wirtschaft' umschreiben", sagte Vanden Houte. Zehn Prozent der Aktivitäten ruhen nach wie vor. Und genau das sehen wir auch in den Konsumzahlen. Das Problem: An dieser Situation wird sich erst einmal nichts ändern, zumindest nicht, bis wir über einen wirksamen Impfstoff verfügen.
Diese ING-Studie reiht sich also ein in die vielen Prognosen, die alle in gleiche Richtung weisen. Quintessenz: Wir sind noch längst nicht über den Berg.
Roger Pint