Vor kurzem habe man noch darüber gesprochen, dass die 500er-Grenze überschritten wurde. "Jetzt steuern wir schon auf die 1.000er-Grenze zu", erklärt Biostatistiker Geert Molenberghs.
Ähnlich analysiert es auch Yves van Laethem, Pressesprecher des Krisenzentrums. Schon in wenigen Tagen könnten es 800 Neuinfektionen sein. "Wir befinden uns an der Schwelle einer zweiten kleinen Welle." Anfang August habe man verhindert, dass aus einer kleinen Welle eine große wurde. "Genauso müsse man jetzt auch diesmal handeln", fordert van Laethem.
Viele sagen aber auch, die Situation ist heute eine andere als im März. Heute wird viel mehr getestet als im Frühjahr. Das bestätigt Biostatistiker Molenberghs: "Es werden jetzt viele Rückkehrer aus roten Risikogebieten getestet, aber allein damit können die gestiegenen Fallzahlen nicht erklärt werden."
"Urlaubsandenken"
Es gibt denn auch tatsächlich einige andere Faktoren. Erstens, die Schulen sind wieder geöffnet und viele Jugendliche infizieren sich. "Das allein ist aber kein Grund zur Panik", erklärt Geert Molenberghs. Denn die größte Gruppe der Neuinfizierten sei immer noch die zwischen 20 und 40 Jahren.
"Ein anderer Faktor ist, dass sich die Infektionen im Gegensatz zu Juli und August nicht nur in den Großstädten, sondern im ganzen Land ausbreiten." Das liegt daran, dass jetzt die Menschen von überall her aus dem Urlaub zurückkommen. "Da haben wohl einige ein kleines Urlaubsandenken mitgebracht", so der Biostatistiker.
Nach den Urlaubsmonaten folgt unvermeidlich die kalte Jahreszeit. Auch das hat Folgen. Generell kann sich das Virus dann besser verbreiten als bei Hitze und Trockenheit. Aber wenn jeder beim ersten Schnupfen getestet werden will, dann drohen Engpässe.
Experten fordern Maßnahmen
Wahrscheinlich müssten die Testkapazitäten im Herbst erhöht werden, glaubt Yves Van Laethem. Um lange Schlangen zu verhindern, sei der erste Ansprechpartner deshalb immer der Hausarzt. Der könne die Symptome deuten und gegebenenfalls einen Test anordnen, erklärt Yves Van Laethem.
Doch damit es nicht soweit kommt, müsse jetzt gehandelt werden. Das heißt: Maßnahmen ergreifen. Das ist Aufgabe des Nationalen Sicherheitsrats. Der tagt aber erst in einer Woche. Das könnte zu spät sein, meinen Experten: Steigen erst einmal die Zahlen in den Krankenhäusern und Intensivstationen, ist es eigentlich schon zu spät. Strengere Maßnahmen bis hin zu einem Lockdown wären dann vielleicht unvermeidlich.
"Der Nationale Sicherheitsrat wird eine delikate Angelegenheit", sagt dann auch Yves Van Laethem. Auf der einen Seite braucht es langfristige Maßnahmen, die unser Leben mit dem Virus vereinfachen sollen. Auf der anderen Seite gibt Van Laethem zu bedenken, dürfe man aber auch nicht übers Ziel hinausschießen.
Volker Krings