Die gewaltige Explosion in Beirut mit mehr als 5.000 Verletzten und mindestens 135 Toten wurde durch 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat verursacht. Die Katastrophe ereignete sich im Hafen der libanesischen Hauptstadt. Und da kann man sich die Frage stellen, ob so etwas auch im Hafen von Antwerpen möglich wäre.
Auch Antwerpen verfügt über eine große Lagereinrichtung für Ammoniumnitrat im petrochemischen Bereich des Hafens. Doch ein Beirut-Szenario ist hier nach Ansicht von Experten dank drakonischer Sicherheitsmaßnahmen äußerst unwahrscheinlich.
Bekannt ist Ammoniumnitrat unter anderem dadurch, dass der Terrorist Timothy McVeigh es benutzt hatte, um ein Regierungsgebäude in Oklahoma in die Luft zu sprengen. Aber Ammoniumnitrat ist auch nützlich. Es wird verwendet, um Pflanzen schneller wachsen zu lassen, um Steine im Bergbau zu spalten und um Coldpacks für verhärtete Muskeln herzustellen.
Tessenderlo - das "Beirut von Belgien"
Wie gefährlich dieser Stoff sein kann, kam vor 78 Jahren in Belgien ans Licht, als eine Explosion das flämische Dorf Tessenderlo in der Provinz Limburg fast von der Landkarte fegte. Die Explosion war so gewaltig, dass sie bis in das mehr als fünfzig Kilometer entfernte Antwerpen zu spüren war.
Der schwere Unfall mit Ammoniumnitrat am 29. April 1942 kostete 189 Menschen das Leben. Etwa 900 wurden verletzt. Viele hatten Brandwunden oder offene Brüche. Zeitzeugen berichteten von einer wirbelnden braunen Rauchwolke, die Hunderte von Metern hoch war.
Wie explosiv Ammoniumnitrat ist, war offenbar in Belgien damals noch nicht bekannt. Von diesem Stoff für die chemische Industrie wurden 200 Tonnen in den Fabriken der Produits Chimiques, der heutigen Tessenderlo Group, gelagert. Aber es gab ein Problem. Der Bestand war verklumpt. Und da hatte man fatalerweise beschlossen, den Stoff mit Dynamit zu lösen.
Schon vorher bekannte Fälle
Dabei war die Gefahr bekannt. 1921 kam es schon im Oppauer Werk der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik bei Ludwigshafen am Rhein zu zwei kurz aufeinanderfolgenden Explosionen von etwa 400 Tonnen Ammoniumsulfatnitrat.
Die Explosion war, gemessen an der Opferzahl, das bisher größte Unglück in der Geschichte der deutschen chemischen Industrie. 561 Menschen wurden getötet. Ausgelöst wurde die Katastrophe auch durch eine Auflockerungssprengung des Düngers.
Reaktionen und Wiederaufbau
In Friedenszeiten wäre dieser Vorfall bestimmt eine weltweite Schlagzeile gewesen. Aber im Zweiten Weltkrieg war eine Explosion keine Sensation. Der deutsche Besatzer vermutete erst einen Sabotageakt. Aber auch die Deutschen sind damals zu dem Schluss gekommen, dass es sich eher um einen tragischen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Die Fabrik stand mitten im Wohngebiet. Und auf Fotos von damals sieht es aus, als hätte ein Orkan das Dorf verwüstet. Die neue Fabrik wurde dann Jahre später kurioserweise - gegen den Willen der Mehrheit der Anwohner und der Stadtverwaltung, aber unter dem Druck der Provinz Limburg - auf demselben Gelände wieder aufgebaut und nicht in der neuen Industriezone am Albertkanal, weit entfernt von der bewohnten Zone.
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