Meine Damen und Herren,
die Corona-Pandemie ist eine Krise, wie wir sie noch nie erlebt haben. Für viele von uns hat sie viel Leid verursacht. Sie hatte, und hat noch immer, schlimme Folgen. Ich denke ganz besonders an diejenigen von Ihnen, die einen nahen Menschen verloren haben, ohne dass Sie ihn auf seinen letzten Lebensweg begleiten konnten, und ohne dass Sie gebührend Abschied nehmen konnten. Die Königin und ich, und das ganze Land, sind im Herzen bei Ihnen.
Unsere Gedanken sind auch bei denjenigen von Ihnen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, schwere finanzielle Einbußen hinnehmen mussten oder sogar Konkurs erlitten haben, die ihre Projekte aufgeben mussten oder deren Träume zerplatzt sind.
Diese Krise hat die Zerbrechlichkeit und die Schwächen unserer Gesellschaft entblößt. Sie trifft zuallererst die Schwächsten unter uns. Die Älteren, denen ich meine Anerkennung dafür zollen möchte, wie würdevoll sie das Ansteckungsrisiko und die Einsamkeit ertragen haben. Die Kinder, denen auf einmal ein Teil ihrer Unbekümmertheit genommen wurde. Die Jugend, deren Ausbildung heftig durcheinander gebracht wurde.
Die Krise hat auch die bestehenden sozialen Unterschiede verschärft. Denn sie trifft diejenigen umso stärker, die ohnehin schon in prekären Verhältnissen und in einem schlechten Wohn- und Bildungsumfeld leben. Der Lockdown hat leider auch zu mehr Spannungen in den Familien, am Arbeitsplatz und auf der Straße geführt. Mehr denn je müssen wir denjenigen unsere Aufmerksamkeit schenken, die keine Stimme haben, die in aller Stille leiden.
Die schwere Zeit, die wir gemeinsam durchmachen, hat aber auch unsere Qualitäten offenbart. Inmitten der Krise haben wir die Kraft der gegenseitigen Hilfe und Fürsorge erlebt. Ich denke hier vor allem an das Pflegepersonal, aber auch an die Lehrkräfte. Tatsächlich hat ganz Belgien Mut und Kreativität gezeigt. Das konnte ich bei unseren vielen Kontakten und Besuchen selbst erfahren. Und das hat mich tief beeindruckt.
Wir haben den Wert des Allgemeinwohls, der Rolle des Staates und des öffentlichen Dienstes wiederentdeckt. Wir haben gemerkt, wie fruchtbar die Zusammenarbeit sein kann zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor, zwischen Experten und Regierung, zwischen Universitäten, Wissenschaftszentren, und zwischen den verschiedenen Entscheidungsebenen unseres Landes. Lassen wir uns diese Dynamik fortsetzen.
In den letzten Monaten haben wir bewiesen, dass wir, wenn es darauf ankommt, schnell entscheiden und gemeinsam handeln können. Natürlich ist nicht alles perfekt gelaufen, aber wir haben standgehalten. Wir haben gewaltige Mittel frei gemacht, um unsere Wirtschafts- und Sozialstruktur zu wahren, und um die Folgen der Pandemie abfedern zu können.
Jetzt kommt es darauf an, wieder aufzubauen und unsere Aktivitäten hochzufahren, mit einer langfristigen Vision und mit all unserer Energie und unserem Erfindungsreichtum.
Diese Krise hat uns die Augen geöffnet. Sie hat uns wachgerüttelt und uns aus dem Komfort unserer Sicherheiten gerissen. Sie zwingt uns darüber nachzudenken, wie wir leben, wie wir unsere Arbeit organisieren, wie wir unterrichten, wie wir produzieren und konsumieren, wie wir uns fortbewegen und reisen.
Jetzt haben wir die einmalige Chance, unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Zusammenleben neu auszurichten - gerechter, nachhaltiger, mit Ambition und Vertrauen in die Zukunft. Und getragen von den Werten, die wir in den letzten Monaten so intensiv erlebt haben.
Meine Damen und Herren,
Manchmal wartet die Geschichte nicht. Der Wiederaufschwung ist eine Herkulesaufgabe, die wir nur alle gemeinsam schaffen können. Um jeden an Bord zu kriegen, brauchen wir jedoch einen klaren Kurs. Das ganze Land erwartet jetzt dringend die Bildung einer beschlussfähigen und stabilen Regierung. Enttäuschen wir es nicht. Gelingen wird uns das Ganze aber nur, wenn wir Mut beweisen und über unseren eigenen Tellerrand hinausschauen.
Die Königin und ich wünschen Ihnen einen schönen Nationalfeiertag.
Roger Pint