Das Jahr 1986. Immer noch laufen die Ermittlungen im Fall der Killerbande von Brabant auf Hochtouren. Gerade ein paar Monate sind seit der jüngsten Attacke der Täter vergangen. Das war am 9. November 1985 in Aalst. Im örtlichen Delhaize-Supermarkt hatten die Killer acht Menschen erschossen und viele weitere verletzt. Das war die bis dahin blutigste Attacke der Bande. Die Täter flüchteten mit einer Beute in Höhe von knapp einer Million belgische Franken, rund 25.000 Euro.
Was man nicht wusste: Das sollte die letzte Attacke der Gruppe gewesen sein. Seit jenem 9. November 1985 sind die Täter wie vom Erdboden verschluckt. Insgesamt 28 Morde werden der Gruppe zugeschrieben, verübt zwischen 1982 und 1985.
1986 also laufen die Ermittlungen noch auf Hochtouren und in alle Richtungen. Eine Spur weist ins rechtsextreme Milieu. Im Visier der Fahnder ist insbesondere die Neonazi-Organisation Westland New Post (WNP). Diese Gruppe war Ende der 1970er Jahre gegründet worden und sah sich selbst als Speerspitze im Kampf gegen die sowjetische Bedrohung.
Die Mitglieder waren indes "reinrassige" Neonazis, die Organisationsstruktur von WNP war offensichtlich an die der SS angelehnt. Einige Aktionen von WNP ließen aber auch einen Zusammenhang mit der Killerbande von Brabant zumindest denkbar erscheinen. Unter anderem haben Mitglieder von WNP Supermärkte ausgespäht - also genau die Ziele, die die Killer seit spätestens 1983 bevorzugten.
Zwar war Westland New Post 1986 schon längst aufgelöst, doch begannen die Ermittler, die ehemaligen Mitglieder durch die Mangel zu drehen. Einer der führenden Köpfe von WNP, das war Michel Libert. Und der soll es gewesen sein, der den Ermittlern buchstäblich einen ganzen Sack mit allerlei potentiell aufschlussreichem Material übergeben hat. "Wissen Sie, wenn Sie mit einer solchen Geschichte in Verbindung gebracht werden, dann übergeben Sie den Behörden alles, was sie entlasten könnte", wird Michel Libert in der Zeitung De Morgen zitiert.
Unter diesen Stücken war auch ein Foto. Es zeigt einen Mann, der eine auffällige Waffe in den Händen hält. Eine überdimensionierte, semi-automatische Schrotflinte, anscheinend ein italienisches Modell, eine Franchi Spas-12. Der Mann auf dem Foto scheint so eine Art Uniform zu tragen. Allerdings kann sie keinem Sicherheitsdienst zugeordnet werden. Außerdem trägt er eine Brille mit offensichtlich getönten Gläsern. Dazu: eine ziemlich krause 80er Jahre-Frisur und wahrscheinlich einen Schnäuzer.
Michel Libert soll damals den Beamten gegenüber gesagt haben, dass der Mann auf dem Foto "für die Ermittlungen wichtig sei"; einen Namen habe er aber nicht nennen können. Heute kann er sich an diese Episode anscheinend nicht mehr erinnern.
Es ist jedenfalls dieses Foto, das die Föderale Staatsanwaltschaft jetzt veröffentlicht hat. Es ist wohl das erste Mal, dass im Zuge der Ermittlungen im Fall der Killerbande von Brabant von der Justiz ein Foto freigegeben wird. Bislang kannte man ja nur die Phantombilder auf den gelben Fahndungsplakaten.
Nur: Warum jetzt? Wenn das Foto doch schon 34 Jahre in der Akte liegt. Dazu muss man wissen, dass die Föderale Staatsanwaltschaft den Fall ja erst vor einiger Zeit übernommen hat. Im Moment wird die Akte also neu durchgearbeitet. Und man versuche, jetzt konsequent offene Fragen zu beantworten, um Türen schließen zu können oder eben nicht, sagte Eric Van Duyse, Sprecher der Föderalen Staatsanwaltschaft in der RTBF. Im Moment laufe ja auch schon eine großangelegte DNA-Untersuchung. Der genetische Fingerabdruck von 1.200 potentiell Verdächtigen wird mit dem Dossier abgeglichen. Und unter den offenen Fragen war eben auch besagtes Foto.
Das ist aber anscheinend nicht die ganze Wahrheit. Laut Presseberichten war es so: 1986 war der Mann auf dem Foto zunächst als ein gewisser Leopold B. identifiziert worden. Und dieser Leopold B., der hatte ein Alibi. Also: eine tote Spur. Nur: Den Ermittlern muss damals wohl ein Fehler unterlaufen sein. Das Bild zeigt demnach nicht Leopold B. Und das sei der Grund, weswegen die Föderale Staatsanwaltschaft jetzt das Foto freigegeben hat.
Die Waffe auf dem Bild, also besagte semi-automatische Schrotflinte, die war seinerzeit jedenfalls eher selten. Sie mag so aussehen, wie man sich die Waffen der Bande vorstellt. Unmittelbar zum Einsatz gekommen ist dieses Modell aber anscheinend nicht. Laut Het Nieuwsblad ist diese Franchi Spas-12 aber nur vier Mal in der belgischen Kriminalgeschichte aufgetaucht und in drei dieser vier Fälle drehten die Ermittlungen um die Killerbande von Brabant.
Das macht den Mann auf dem Foto also dann doch "mindestens" zu einem interessanten Zeugen. Seit Dienstag hat die Polizei jedenfalls schon 120 neue Hinweise erhalten. Laut De Morgen soll ein früheres Mitglied der Gruppe Diane in dem Mann auf dem Foto einen früheren Kollegen erkannt haben, der anscheinend auch Sympathien für rechtsextreme Vereinigungen hatte. Die Gruppe Diane, das war ja das Spezialeinsatzkommando der damaligen Gendarmerie. Es wäre längst nicht das erste Mal, dass die Gruppe Diane ins Visier der Fahnder gerät.
Vielleicht öffnet das Foto ja neue Türen, vielleicht aber auch nicht. Der Fall verjährt 2025, 40 Jahre nach der letzten Attacke der Killer.
Roger Pint