Sie waren mitten in der Nacht mit dem Vorschlaghammer gekommen, um die Hauptstadt auf eigene Faust zu "dekolonisieren". Nach wenigen Minuten lag die Büste von Leopold II. im Staub, und wurde, um ganz sicher ein Zeichen zu setzen, noch mit roter Farbe besprüht. Auf dem nun leeren Sockel platzierte man ein Foto des ermordeten ersten Premierministers des unabhängigen Kongos, Patrice Lumumba. Alles öffentlichkeitswirksam in Anwesenheit eines Kamerateams.
Andernorts wurden Straßenschilder, die den Namen des Königs trugen, übersprayt. Und Rechtfertigungsstatements hatten sich die mit Mundschutzmasken, Sonnenbrillen und Kapuzenpullis vermummten Täter ebenfalls vorbereitet. Es gebe zu viele Symbole des Kolonialismus in Brüssel, so eine Aktivistin in der RTBF. Seit Jahren kämpfe man, versuche sich Gehör zu verschaffen, um den öffentlichen Raum zu dekolonisieren. Aber man fühle sich wie ein Prediger in der Wüste, man werde einfach nicht gehört.
Der Tod von George Floyd in den Vereinigten Staaten rufe in Erinnerung, dass Rassismus eine große, schwerwiegende und globale Plage sei. Der Rassismus sei ein Erbe des Kolonialismus, er klebe an den Menschen, an ihren Handlungen und an der Gesellschaft. Seine Gewalttätigkeit lebe fort in den Straßennamen und den Statuen auf den Plätzen.
Kaputtschlagen und unkenntlich machen sei nicht die Geschichte verstecken, wehrt sich eine Aktivistin. Weil man Geschichte sehr gut im Museum zeigen könne, meinte sie.
Das sieht der Bürgermeister von Auderghem, Didier Gosuin, wenig überraschend, nicht so entspannt. Er sei sauer. Er könne zwar verstehen, dass man für Anliegen kämpfe, so Gosuin im RTBF-Interview. Aber nicht, dass manche zur Selbstjustiz griffen. Man könne kriminelle Taten weder akzeptieren, noch tolerieren. So gehe man in einer Demokratie nicht vor.
Dies sei eine absichtliche Straftat gewesen, die zu verurteilen sei, weil sie gegen den Rechtsstaat verstoße. Und sie helfe nicht, sie radikalisiere. Das hier fache die Spannungen nur weiter an. Den Tätern drohen im Übrigen zwischen acht Tagen und einem Jahr Gefängnis und bis zu 4.000 Euro Strafe wegen der Beschädigung von Denkmälern.
Und der Bürgermeister ist auch deutlich was das weitere Schicksal der Statue angeht: Sie müsse bleiben, weil sie ein Teil der Geschichte und des Erbes sei. Sie werde auch wieder an ihren Platz zurückkehren. Aber erst, wenn der belgische Staat eine Expertengruppe von Historikern aller Landesteile gebildet habe, um endlich eine Inschrift beziehungsweise Kontextualisierung der kolonialen Geschichte und der Handlungen von Leopold II. im Kongo zu verfassen.
Reaktionen aus der Politik
Auch aus der Politik gab es bereits Reaktionen zu diesem und anderen selbst-organisierten Bilderstürmen. Der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez verurteilte den Vandalismus und beklagte, dass solche Aktionen die Debatte nicht weiterbringen würden. Stattdessen wolle seine Partei Erklärtafeln. Geschichte dürfe man nicht auslöschen, man müsse sie unterrichten.
Der CD&V-Vorsitzende Joachim Coens hatte bereits zuvor gesagt, dass das Verschwinden der Monumente nicht das Ziel sein könne, stattdessen empfiehlt er eine Entschuldigung des Königshauses beziehungsweise des Staates an das kongolesische Volk.
Die OpenVLD will ebenfalls eine Untersuchung der Taten, eine entsprechende Debatte und möglicherweise dann eine Entschuldigung.
Der SP.A-Vorsitzende Conner Rousseau erinnerte daran, dass bald der 60. Jahrestag der Unabhängigkeit des Kongo anstehe, eine gute Gelegenheit, um sich für die Vergangenheit zu entschuldigen. Ob das nun durch den König oder den Staat passiere, komme für ihn im Wesentlichen auf das Gleiche heraus.
Währenddessen wurden anderenorts bereits Fakten geschaffen: Westaustralien wird das nach dem belgischen Monarchen benannte König-Leopold-Gebirge im Nordwesten des Kontinents umbenennen.
Boris Schmidt
Die Idee von Coens ist richtig. Königshaus und Regierung müssten sich entschuldigen für die Greueltaten Leopold II. Der bevorstehende 60. Jahrestag des Unabhängigkeit des Kongos wäre der richtige Moment. Würde die zwischenstaatlichen Beziehungen verbessern. Nur darf es keine Diskussion über Reparationszahlungen geben. Das wäre kontraproduktiv.
Wieso keine Wiedergutmachung??
Die Deutschen müssen heute noch zahlen, drei Generationen später. Wieso Belgien nicht ? Menschen im Kongo sind auf elendste Weise zu Tode gekommen! Wo soll da ein Unterschied sein?
"Nur darf es keine Diskussion über Reparationszahlungen geben. Das wäre kontraproduktiv."
Wieso?
Weil hehre Worte der Entschuldigung nichts kosten, Entschädigungen dagegen...
Gerne würde man da Näheres erfahren.
@ Heike De Bruecker: Googeln Sie einfach mal die Begriffe « Kolonialismus » und « Holocaust », da werden Ihnen die Unterschiede vermutlich klarer. Dafür, dass die deutschen « Schutztruppen » im heutigen Namibia die Herero wortwörtlich in die Wüste schickten, bezahlt Deutschland bis heute keine Reparationszahlungen.
Zum Morden im Kongo (und anderswo): War etwa Schluss damit, als die Belgier abzogen? Im Gegenteil: Unter Mobutu und Kabila ging das Töten doch munter weiter!
Es liegt mir fern, die Gräueltaten der Kolonialmächte klein reden zu wollen, aber jene, die jetzt Entschädigungen für die armen Afrikaner fordern, sollten erst mal in der eigenen Familiengeschichte nachforschen, ob sich nicht ein Vorfahr auf dem Rücken der Schwarzen bereichert hat. Falls ja, kann er/sie das ererbte Vermögen einer seriösen NRO spenden, die vor Ort eine echte Entwicklungshilfe leistet.
Werte Frau de Bruecker,
Werter Herr Schleck.
Ich bin aus ganz praktische Gründen gegen Entschädigungszahlungen. Wer sollte das Geld bekommen nach welchen Kriterien ? Der kongolesische Staat ist ein gescheiterter Staat ohne wirklich funktionierende Verwaltung. Genau wie in Kamerun. Wie in vielen Staaten Afrikas funktionieren nur zwei Institutionen nämlich die Familie und die Armee/Polizei. Wie Entwicklungshilfezahlungen auch würden Entschädigungszahlungen in irgendwelchen dunklen Kanälen verschwinden ohne das die Bevölkerung was davon hat.
Deutschland konnte Israel auch nur deswegen Entschädigungszahlungen leisten, weil es in Israel ein funktionierendes Staatswesen gibt.
ich lerne eines aus diesem "Bildersturm":
Wenn Vorbilder nichts mehr taugen, werden die eben auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Ob das Napoleon oder Lenin oder Leopold-II ist. Das prinzip ist das gleiche.
Ob neue Vorbilder besser sind, wird sich noch herausstellen.