"Wir sehen hier unglaubliche Summen, die wir seit Jahrzehnten nicht gekannt haben". Der MR-Haushaltsminister David Clarinval hat in diesen Krisenzeiten ein denkbar undankbares Ressort zu leiten: Im Moment dürften regelrecht alle Warnleuchten blinken.
"Die Zahlen sind, in einem Wort, einfach nur 'irre'", sagte Clarinval in der RTBF. Die Wirtschaft wird um zehn Prozent schrumpfen, das heißt hier gehen weit mehr als 40 Milliarden Euro mal eben so in Rauch auf. Und, wenn man sich nur die Haushalte anschaut, also das föderale Budget und auch das der Teilstaaten, dann sehen wir ein Gesamtdefizit von 45 bis 50 Milliarden Euro.
50 Milliarden Euro Haushaltsdefizit
50 Milliarden Euro Defizit! Allein in diesem Jahr. Wenn man bedenkt, dass man im Januar noch von einem Fehlbetrag von zwölf Milliarden ausging, was ja auch schon viel zu viel war, dann kann man tatsächlich von "astronomischen" Zahlen sprechen.
50 Milliarden, die also noch dem ohnehin schon hohen Schuldenberg hinzu addiert werden müssen. Die belgische Staatsschuld belief sich Ende letzten Jahres auf rund 470 Milliarden Euro. In Prozentpunkten hört sich das etwas gesünder an: Wir hatten die Staatsschuld gerade wieder unter die Schwelle von 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gedrückt; und jetzt das, beklagt David Clarinval. Jetzt werden wir uns wohl wieder in Richtung der 120 Prozent bewegen.
Glücklicherweise sind die Zinsen nach wie vor niedrig. Belgien leiht sein Geld sogar zu Negativzinsen. Das macht die Sache aber nur bedingt besser. Denn: Es kommt der Tag, da steigen die Zinsen wieder.
Sparvolumen steigt
Miserable Aussichten jedenfalls, das kann sich jeder an den fünf Fingern abzählen - und er tut es offensichtlich auch. Das kann man an einer Zahl ablesen: Seit Beginn der Krise haben die Belgier schon 10 bis 12 Milliarden Euro zur Bank gebracht. Wie die Zeitung L'Echo berichtet, wird das Sparvolumen in Belgien in diesem Jahr wohl insgesamt um 20 Milliarden Euro steigen.
Und das sei eben kein Zeichen dafür, dass die Menschen mehr zurücklegen können, sondern dass sie schlichtweg weniger ausgeben. Klar: Während des Lockdowns haben die Menschen quasi zwangsläufig ihre Ausgaben zurückgefahren. Nur jetzt tun sie das sehr bewusst, sagte Nicolas Claeys, Finanzexperte bei der Verbraucherschutzorganisation Test Achats in der RTBF. Der dicker werdende Sparstrumpf ist quasi Ausdruck der Zukunftsängste der Menschen.
Zukunftsängste
Es gibt ja gleich zwei große Unwägbarkeiten. Zunächst ist es ja so, dass das Ursprungsproblem, also die sanitäre Krise, nicht vom Tisch ist. Eine zweite Krankheitswelle kann bis auf weiteres nicht ausgeschlossen werden. Und dieser Schwebezustand kann noch eine ganze Weile andauern.
Zweitens sehen wir blutrote Haushaltszahlen. Und jeder weiß, dass wir alle wohl die Zeche bezahlen müssen werden. Es gibt da nicht unendlich viele Möglichkeiten: Da droht ein drastisches Sparprogramm oder höhere Steuern - wahrscheinlich beides. Jedenfalls wird das ein Loch ins Portemonnaie reißen. Und genau das scheinen die Menschen jetzt schon vorwegzunehmen, indem sie eben sparen, sagt Nicolas Claeys von Test Achats.
"Natürlich ist es nicht auszuschließen, dass die Menschen jetzt so Einiges nachholen wollen", sagt Nicolas Claeys. Natürlich: Jetzt, nach der spürbaren Lockerung der Ausgangsbeschränkungen, wird sich der eine oder andere vielleicht auch nochmal so richtig was gönnen. Nur: Dieser Nachholeffekt dürfte sich zunächst in Grenzen halten. Eben, weil jeder ahnt, dass diese Krise noch längst nicht vorbei ist. Die Leute sorgen vor.
Und all das sind natürlich keine guten Neuigkeiten für die Wirtschaft insgesamt. Hier beißt sich nämlich die Katze in den Schwanz: Die Krise sorgt für Unsicherheit, was dazu führt, dass die Menschen weniger ausgeben. Und das wiederum befeuert die Krise: weniger Umsatz, niedrigere Steuereinnahmen.
Wenn's sich auch fast schon anhören mag wie eine Binsenweisheit, das Fazit von Haushaltsminister Clarinval klingt jetzt doch nochmal konkreter: "Diese Krise wird gravierende Auswirkungen haben, in allen Belangen".
Roger Pint
Genau das ist überall das Problem, steigende Sparquoten der privaten Haushalte und enorme fiskalpolitische Ausgabeprogramme der Staaten. Der rational ökonomisch handelnde Mensch streicht seinen privaten Konsum, weil er in der Zukunft Steuererhöhungen des Staates erwartet. Somit kann leicht eine deflationäre Spirale der Kauf- und Konsumzurückhaltung in Gang gesetzt werden, mit allen bekannten Folgen:fallende Vermögenspreise sowie persistent hohe Arbeitslosigkeit. Die Staatsausgaben müssen unbedingt intelligent und zukunftsorientiert eingesetzt werden und durch Strukturreformen flankiert werden. Ansonsten droht das ganz liebe Geld einfach nur ohne Effekt zu verpuffen.