Gute Neuigkeiten waren in letzter Zeit zu selten, um sie nicht mal hervorzuheben. Und besagte positive Meldung kam aus dem Mund von Prof. Erika Vlieghe. Das ist die Vorsitzende des sogenannten GEES, also des Beratergremiums, das die Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen begleitet. "Wir sind weiterhin auf dem guten Weg", sagte Vlieghe in der VRT.
Klar: Die Zahlen dürften durchaus noch ein bisschen niedriger sein. Aber das Wichtigste ist: Trotz der ersten Phasen der Lockerungen sind wir immer noch im Grünen Bereich.
Und das war offensichtlich mit ein Argument dafür, die bisherige Strategie noch einmal zu überdenken. Was dann schließlich dazu geführt hat, die Vorsichtsmaßnahmen in den Schulen noch einmal spürbar zu lockern, um wieder mehr Schüler empfangen zu können.
"Was stellen wir fest?", sagte der Epidemiologe Marius Gilbert: Die Zahlen bleiben stabil, zeigen gar weiterhin fallende Tendenz; und das auch drei Wochen nach den ersten Lockerungen. Parallel dazu gibt es quasi täglich neue Erkenntnisse über das Virus und Erfahrungen, die andere Länder mit der Öffnung von Schulen gemacht haben. Und all das habe zu der Entscheidung geführt, die Schulen weiter zu öffnen:
Marius Gilbert ist ebenfalls Mitglied des GEES. Insofern mögen seine Worte in manchen Ohren eher wie eine Rechtfertigung, die man quasi "nachliefert", klingen.
Denn jeder weiß, dass insbesondere der flämische Unterrichtsminister Ben Weyts da im Vorfeld mächtig Druck gemacht hatte, um die Maßnahmen in den Schulen weiter zu lockern. Für die Zeitung La Libre Belgique ist der N-VA-Politiker eigentlich DER große Gewinner der letzten Tage.
Doch will auch Prof. Erika Vlieghe nicht den Eindruck im Raum stehen lassen, dass ihr Beratergremium quasi erst rückwirkend die Lockerungen gutheißt: Die Regeln, die seit dem 18. Mai galten, nun, die seien ja schließlich schon vor Wochen formuliert worden.
Zu einem Zeitpunkt also, in dem wir längst noch nicht so viel wussten wie jetzt. Und dann kommt irgendwann der Moment, wo man sich fragen muss, ob man die Regeln nicht doch ein bisschen lockern kann. Zumal die Zahlen sich ja positiv entwickeln.
Ganz konkret: Man muss abwägen. Wenn die Regeln in ihrer ursprünglichen Form für unüberwindbare praktische Probleme sorgen, dann muss man sich fragen dürfen, ob man sie nicht ein bisschen lockern kann, ohne die Sicherheit fundamental zu gefährden.
Doch das sehen nicht alle so. Das gilt zum Beispiel für Professor Yves Coppieters, Experte für Epidemiologie und Volksgesundheit an der Freien Universität Brüssel. "Das geht alles zu schnell", sagte Coppieters in der RTBF. Die verschiedenen Phasen folgen zu schnell aufeinander. Nach 10 Tagen schon, wobei man doch eigentlich erst nach 14 Tagen bis drei Wochen wirklich die Auswirkungen einer bestimmten Lockerung sehen kann. Im Moment fühlt sich das an wie ein Blindflug, sagt Coppieters sinngemäß.
Kollege Marius Gilbert relativiert dann aber wieder: Mal ehrlich, sagte der Epidemiologe in der RTBF: Ob wir jetzt die Schulen öffnen, oder erst im September, das ändert eigentlich nichts. Die Ausgangssituation wäre in jedem Fall die gleiche, wir würden uns dieselben Fragen stellen. Ein Aufschub hätte nichts geändert.
Professor Yves Coppieters empfiehlt nichtsdestotrotz punktuell schärfere Vorsichtsmaßnahmen: Was vor allem unglücklich sei: In den Schulen gelte selbst für Erwachsene keine Maskenpflicht mehr. Zumindest nicht überall. Und das sorge dafür, dass das Lehrpersonal letztlich zur Risiko-Gruppe wird, Risiko in dem Sinne, dass sie als potenzielle Verbreiter gelten könnten. Alle Erwachsenen sollten deshalb mindestens bis Ende Juni Masken tragen, so die Empfehlung von Yves Coppieters.
Roger Pint