Das Verhalten von Volkswagen sei "objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren", heißt es in dem Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes in Karlsruhe. Das ist immerhin das höchste Zivilgericht in der Bundesrepublik. Und eigentlich sind solche Gerichtshöfe eher für nüchterne Wortwahl bekannt. "Sittenwidrig", die Formulierung klingt da fast schon wie Donnerschlag.
Und das war noch nicht alles: Durch die Manipulation von Dieselmotoren durch eine Schummel-Software sei das deutsche Kraftfahrtbundesamt systematisch hinters Licht geführt worden. Die Genehmigung für die Autos habe der Konzern "durch arglistige Täuschung" erschlichen. Bewusst und gewollt zur Gewinnmaximierung.
Jetzt hat der Volkswagen-Konzern es also schriftlich. Fünf Jahre nach der Aufdeckung des Dieselskandals stellt jetzt auch die heimische Justiz den Autobauer an den Pranger. Der Bundesgerichtshof bestätigt damit im Wesentlichen das Urteil der vorherigen Instanz, genau gesagt des Oberlandesgerichts Koblenz.
Geklagt hatte ein Mann, der 2014 einen gebrauchten VW-Sharan gekauft hatte; eben einen Diesel. 31.400 Euro hatte er damals bezahlt. Das Gericht geht aber davon aus, dass der Mann den Wagen nie gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass darin betrügerische und illegale Technik verbaut ist. Deswegen muss Volkswagen ihm einen doch stattlichen Teil der Kaufsumme zurückerstatten: 26.000 Euro. Das Gericht hat da die Nutzung berücksichtigt, also die gefahrenen Kilometer quasi verrechnet.
Zwar handelt es sich hier nur um einen Einzelfall, eben die Klage des Sharan-Käufers; es ist keine Musterfeststellungsklage, bei der das Urteil automatisch auch für andere Geschädigte gelten würde. Dennoch gilt das Urteil des BGH als richtungsweisend. Die Frage etwa, ob den Kunden überhaupt ein Schaden entstanden ist, die ist jetzt endgültig geklärt.
Und genau das heben auch belgische Verbraucherschützer in erster Linie hervor. Bislang habe Volkswagen immer abgestritten, dass den Käufern der Schummel-Diesel überhaupt ein Schaden entstanden sei. Nach dem Motto: Der Wagen sei doch immer fahrtüchtig und nach einem Software-Update auch wieder gesetzeskonform zugelassen gewesen.
Diese Argumentation ist nicht mehr haltbar. "Jetzt steht unumstößlich fest, dass Volkswagen einen Fehler gemacht hat; und auch, dass den VW-Kunden ein Schaden entstanden ist", sagte Simon November, Sprecher der Verbraucherschutzorganisation Test Achats in der VRT.
Und entsprechend erhofft sich Test Achats jetzt eine Signalwirkung. Auch für Belgien. 2016 hatte die Organisation eine Sammelklage gegen den Volkswagenkonzern angestrengt. VW-Kunden im ganzen Land wurde angeboten, sich dieser Klage anzuschließen und sich damit möglicherweise Schadensersatz zu erkämpfen. "Auch wir verlangen eine Rückerstattung des Kaufpreises", sagte Julie Frère, Sprecherin von Test Achats, in der RTBF. "Und wir hoffen, dass dieses deutsche Gerichtsurteil jetzt auch unsere Klage positiv beeinflusst."
Auf eine mögliche Entschädigungssumme wollte sich Julie Frère nicht festnageln lassen. Erstmal geht es ums Prinzip. Denn: Schon da stand Volkswagen in Belgien mit beiden Füßen auf der Bremse. Bislang sei der Konzern noch überhaupt nicht auf die belgischen Kunden zugegangen, sagte Julie Frère. In anderen Ländern seien die betrogenen Kunden durchaus schon auf die eine oder andere Weise entschädigt worden, teilweise durch Musterfeststellungsklagen. Test Achats habe immer an Volkswagen appelliert, doch wenigstens über einen außergerichtlichen Vergleich zu verhandeln. Warum funktioniert das hierzulande nicht, wenn es doch in anderen Ländern möglich ist?
Naja, und weil man eben bislang noch keine Geste von Volkswagen gesehen hat, werde man die Klage weiter vorantreiben, sagte Frère. Das Problem ist, dass die belgischen Gerichtsmühlen leider so langsam mahlen. Der Prozess wird wohl erst im Februar 2022 stattfinden. "Aber: Wir werden nicht lockerlassen", sagt Julie Frère.
Roger Pint