Der Postbote oder der Fabrikarbeiter müssen raus aus dem Haus, aber 42 Prozent der arbeitenden Gesellschaft in Belgien könnten theoretisch komplett von zuhause aus arbeiten. Nach neuesten Zahlen von vor der Krise machen allerdings nur 17 Prozent der Erwerbstätigen regelmäßig Home Office. Viele Arbeitgeber sind diesem Modell gegenüber noch skeptisch. Auch sind es bislang hauptsächlich große Unternehmen, die ihren Angestellten die Möglichkeit bieten, von zuhause aus zu arbeiten.
In Belgien gibt es aber viele kleine und mittlere Unternehmen. Die müssen jetzt oft zwangsweise mit dem Arbeiten von zuhause experimentieren. Das bietet durchaus Chancen, denn mehr Home Office ist in vielerlei Hinsicht erstrebenswert. Man denke an die gesparte Zeit und vermiedenen Autoabgase.
Jean-Olivier Colinet coacht Menschen, die sich gerne selbstständig machen würden und kennt sich mit dem Telearbeiten daher gut aus: "Eine der ersten Regeln muss das Kommunizieren sein. Das ist wie in der Beziehung. Man sollte auf jeden Fall weiterhin mit den Kollegen in Kontakt sein, um sich nicht zu isolieren und die Verbindung zum Job zu verlieren." Bei der Kommunikation fängt es an. Man sollte in regem Austausch mit den Kollegen bleiben. Dabei geht es allerdings nicht darum, den Kollegen jedes Mal mitzuteilen, wenn man auf Toilette geht oder sich einen Kaffee macht.
Privatsphäre
Auch wenn das Zuhause jetzt auch das Büro ist, brauchen wir nach wie vor Privatsphäre. Das fängt zum Beispiel bei der Kleidung und der Wahl des Arbeitsplatzes an, erklärt Jean-Olivier Colinet: "Es ist keine gute Idee, im Pyjama zu arbeiten. Wir sollten angemessene Bedingungen für uns schaffen, um effizienter zu sein. Zum Beispiel würde ich auch nicht empfehlen, im Bett zu arbeiten. Das Gehirn verknüpft dann den Ort des Ausruhens mit dem Job. Es gibt Studien die zeigen, dass wir deutlich schlechter schlafen und gestresster sind, wenn wir am gleichen Ort arbeiten und schlafen."
Auch müssen wir nicht zwangsweise zu jeder Sekunde erreichbar sein. Im Büro machen wir ja auch Pausen oder sind von Zeit zu Zeit nicht am Arbeitsplatz: "Sie haben das Recht, abwesend zu sein", meint Jean-Olivier Colinet. "Viele Firmen richten Chat-Programme ein und wir fühlen uns dann schlecht, wenn wir nicht sofort auf Nachrichten antworten. Das ist falsch. Ich denke, dass wir einen gewissen Verzug beim Reagieren auf Nachrichten akzeptieren sollten."
Organisation
Alles Weitere ist dann vor allem eine Frage der Organisation: Planen, Ziele setzen, To-Do-Listen schreiben. All dies hilft gerade Neulingen im Home Office, einen Rhythmus zu bekommen. Ein persönlicher Arbeitsplan sollte auch Pausenzeiten und vor allem den Feierabend berücksichtigen, damit auch irgendwann einmal Schluss ist.
Ganz wichtig ist es, besonders für Familien, klare Regeln für das Zusammenleben und -arbeiten unter einem Dach zu schaffen: "Mit Kindern ist das arbeiten zuhause nicht leicht und besonders, wenn man alleine mit den Kindern ist. Ratsam ist eine Art Familienrat einzuberufen - anstelle des Betriebsrats quasi - und dann deutlich zu machen, dass die Situation für alle ok sein muss. Dafür braucht es dann klare Regeln, die umgesetzt und allen mitgeteilt werden müssen."
Das Home Office kann sehr gut gelingen. Bevor die Corona-Krise losging, waren 92 Prozent der Belgier, die schon einmal Home Office gemacht hatten, mit dieser Erfahrung sehr zufrieden und wollten es nach Möglichkeit auch weiterführen.
Sehen wir die Ausgangssperre als Chance, um etwas Neues auszuprobieren.
Peter Eßer