Große Aufregung in De Panne. Noch bevor die Sonne aufgegangen war, war der Küstenort schon hellwach. Fieberhaft wurde gesucht nach 13 Menschen, die mutmaßlich im Ärmelkanal Schiffbruch erlitten hatten.
Es war einer von ihnen, der selbst Alarm geschlagen hatte. Wie die VRT berichtet, habe ein Mann mit nassen Kleidern an einem Appartement-Gebäude direkt am Deich um Hilfe gebeten. Der Mann war völlig durchnässt und unterkühlt. Er erzählt, dass ein Boot vor der Küste Probleme bekommen habe. Er sei einer der insgesamt 14 Insassen gewesen und habe sich glücklicherweise retten können. Was mit den anderen passiert sei, wisse er nicht.
"Wir haben daraufhin sofort eine große Suchaktion eingeleitet", sagte Bram Degrieck, Bürgermeister von De Panne, in der VRT: Polizei, Feuerwehr, Küstenwache, das ganze Programm. Auch die französischen Kollegen hätten sich beteiligt.
Schnell können sechs Menschen gefunden werden: ein Afghane und fünf Iraner. Sie waren offensichtlich auf dem Weg nach Großbritannien, als ihr Boot gekentert sei. "Aus den Schilderungen der Überlebenden können wir entnehmen, dass tatsächlich insgesamt 14 Menschen an Bord des Bootes gewesen seien", sagt der Bürgermeister. Die übrigen acht würden noch vermisst. Man gehe aber davon aus, dass auch sie es zurück an Land geschafft hätten; nur: dafür gebe es bislang keine offizielle Bestätigung.
Ob alle das Unglück überlebt haben, man weiß es also noch nicht. "Hoffentlich", könne man da nur sagen. Zumal die Überlebenden ausgesagt hätten, dass sich auch zwei Minderjährige an Bord befunden hätten, sagt Nico Paelinck von der zuständigen Polizeizone Westküste. "Fakt ist, dass auch eine Kinderweste angespült wurde."
Die sechs Überlebenden, die aufgegriffen werden konnten, wurden jedenfalls umgehend verhört. Unter anderem muss geklärt werden, wo genau sie herkamen und wer sie in das Boot gesetzt hat. Die Justiz leitete Ermittlungen wegen Menschenschmuggels ein.
Frage ist vor allem, ob das nur der Anfang war. Man weiß, dass Schleuser immer wieder ihre Taktik ändern. Oft geschieht das nicht freiwillig, sondern weil die Behörden eine Türe geschlossen haben. Beispiel: Als die französische Polizei das große Flüchtlingslager in Calais, den sogenannten Dschungel, geschlossen hatten, da wichen die Flüchtlinge unter anderem auch auf Belgien aus. Und als es sich als zunehmend unmöglich erwies, in einem Hafen an Bord eines Schiffes zu gelangen, da versuchten sie ihr Glück auf Autobahnparkplätzen. Mehr und mehr scheint die Maxime zu gelten: "Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott". Konkret: Die Flüchtlinge werden gleich in Boote gesetzt.
Nach vorsichtigen Schätzungen gelangten auf diese Weise knapp 2.000 Transitmigranten nach Großbritannien. Rund 1.400 Menschen wurden von der französischen Küstenwache aufgegriffen. Und, weil die Franzosen immer wachsamer werden, weicht man jetzt also auf Belgien aus. "Daran sieht man nur, wie verzweifelt die Menschen und auch die Schleuser inzwischen sind", sagt Nico Paelinck von der Polizeizone Westküste. "Wir haben schon gesehen, dass Transitmigranten über den Hafen von Nieuwpoort nach Großbritannien gelangen wollten. Es war aber das erste Mal, dass eine Überfahrt vom Strand aus versucht wurde. Zumal bei diesem Wetter: Temperaturen um den Gefrierpunkt und Nebel. Und dann auch noch auf einer derartig viel befahrenen Schifffahrtsroute. Die Menschen gehen hier unglaubliche Risiken ein."
Und hoffentlich, so sagt der Polizeiverantwortliche, hoffentlich hat sich da vor der Küste keine Tragödie ereignet. Den ganzen Vormittag lang hatte ein Großaufgebot an Einsatzkräften den gesamten Küstenstreifen im belgisch-französischen Grenzgebiet regelrecht durchkämt. Dabei kam auch eine Drohne mit einer Wärmebildkamera zum Einsatz. Die Suche nach den mutmaßlich acht weiteren Schiffbrüchigen blieb aber ergebnislos.
Und vielleicht war das nur der Anfang. Eben, weil die Menschen so verzweifelt sind, ist es vielleicht nicht das letzte Mal, dass sie nach Belgien ausweichen, um die Überfahrt nach Großbritannien zu riskieren. Dabei ist das eigentlich der helle Wahnsinn. Von De Panne aus ist die englische Küste doppelt so weit entfernt wie von Calais: knapp 80 Kilometer. Im Winter und im ohnehin gefährlichen Ärmelkanal ist das eigentlich ein Himmelfahrtskommando.
Roger Pint