Eine Lohnerhöhung von 1,1 Prozent wie im Privatsektor, gleiche Lohnregelungen für Vertragspersonal wie für Beamte bei der Bahn und die Beibehaltung der 36-Stundenwoche für das ganze Personal, heute und in der Zukunft: Das sind einige der Forderungen, warum am Donnerstag ein großer Teil des Zugpersonals streikt und wieder einmal die Bahnkunden das ausbaden müssen.
Wenn die 1,1 Prozent mehr Lohn und die gleiche Bezahlung von Beamten und Vertragspersonal objektiv durchaus einleuchtend erscheinen, so mag das Festhalten an der 36-Stundenwoche für alle doch etwas überzogen klingen. Gerade auch für Arbeitnehmer in anderen Sektoren, die schon heute grundsätzlich ein paar Stunden länger in der Woche arbeiten müssen.
Das sah auch der Journalist bei der RTBF in der Sendung Matin Première so und fragte deshalb Pierre Lejeune gerade heraus, ob die Bahnmitarbeiter nicht privilegiert seien. "Nein", lautete die klare Antwort des sozialistischen Gewerkschaftschefs. "Ich finde nicht, dass die Mitarbeiter der Bahn privilegiert sind gegenüber anderen Personalkategorien." Dass es überhaupt heute zum Streik gekommen ist, sei die Schuld der SNCB-Leitung und der Politik.
"Der Streik heute", sagte Lejeune wörtlich, "ist das Ergebnis von gleich zwei Misserfolgen: Es ist das Scheitern der Verhandlungen zwischen den Sozialpartner bei der Bahn, was bislang eigentlich immer beispielhaft für ganz Belgien funktioniert hatte. Und es ist das Scheitern der Politik, die von der Regierung Michel-De Wever während der vergangenen fünf Jahre geführt worden ist. Die war nämlich besonders aggressiv gegenüber dem öffentlichen Dienst, speziell bei der Bahn."
Und dann zählte Lejeune auf: Entlassung von mehr als 450 Mitarbeitern, Einsparungen in Höhen von mehr als drei Milliarden Euro und gleichzeitige Erhöhung der Leistungsanforderungen um 20 Prozent - das ist einfach zu viel, wenn gleichzeitig die Züge pünktlicher fahren sollen und insgesamt alles noch besser werden soll.
Die Gewerkschaften hätten das Gespräch mit der SNCB-Leitung gesucht. "Wir verhandeln seit Monaten über Änderungen der Arbeitsverhältnisse bei der Bahn", sagte Lejeune. "Wir haben bereits mehrmals die Warnglocke geläutet. Wir haben der Leitung der Bahn signalisiert: Wenn wir in diese Richtung weitergehen, wird es zu Problemen kommen. Das Streikrisiko besteht. Wir haben also zeitig genug gewarnt. Aber heute sind die Grenzen überschritten."
Der Streik soll ein erster Warnschuss an die Bahnführung sein. Spontan verlängert würde der Streik - Stand der Dinge am Donnerstagvormittag - sicher nicht werden. "Ich glaube, dass die Züge am Freitag wieder ganz normal fahren werden. Es wird auf jeden Fall keine weiteren Streikaktionen am Freitag geben", sagte Lejeune.
Der Gewerkschafts-Chef kann sich aber gut vorstellen, dass weitere Arbeitsniederlegungen bei der Bahn im Januar stattfinden könnten. Wörtlich sagte Lejeune: "Es kann sehr wohl zu weiteren Streiks über den Monat Dezember hinaus kommen. Das ist eine Möglichkeit, die durchaus realistisch erscheint."
Kay Wagner