Die flämischen Liberalen von der Open VLD sind offenbar tief gespalten. Wie äußert sich das?
Auf der einen Seite gibt es die Parteispitze, vor allem Open-VLD-Präsidentin Gwendolyn Rutten und den amtierenden Vize-Premier Alexander De Croo. Von diesen beiden sagt man, dass sie für ein Regenbogen-Szenario zu begeistern sind. Gerade bei Gwendolyn Rutten sind da vielleicht auch ein Stück weit persönliche Interessen im Spiel. In einem solchen Szenario würde sie nämlich vielleicht sogar die neue Premierministerin. Da gibt es nur ein Problem: Teile der Basis tragen diesen Kurs nicht mit. Der Unmut ist anscheinend ziemlich groß: Die Zeitung De Morgen schrieb schon, dass bei der Open VLD eine Meuterei drohe.
Was schwebt den potentiellen "Meuterern" denn da vor? Bevorzugt die Basis der Open VLD stattdessen eine Regierung mit der N-VA?
Das wäre vielleicht zu viel gesagt. Die, die sich äußern wollen, sind aber der Ansicht, dass man es doch zumindest versuchen sollte. In diese Richtung äußerte sich zum Beispiel der Open VLD-Parlamentarier Christian Leysen. Eine Entscheidung für einen Regenbogen, dafür ist es noch zu früh, sagt Christian Leysen. Jetzt, nachdem man dem PS-Chef die Möglichkeit gegeben habe, das Terrain zu sondieren, sollte man dem Vorsitzenden der stärksten Partei auch dieses Recht einräumen. Selbst, wenn der sich gerne wie ein Calimero verhält. Mit diesem "Calimero" meint Leysen natürlich N-VA-Chef Bart De Wever. Und Leysen spricht da offensichtlich für viele. Da kann man durchaus von einer Spaltung sprechen.
Diese Meinung, wonach jetzt also die N-VA am Zug sein sollte, diese Meinung hört man ja nicht zum ersten Mal. Das ist auch die derzeitige Parteilinie der flämischen Christdemokraten CD&V, oder...?
Ganz genau. Genau das hat die CD&V schon immer gesagt. Das mag auch damit zu tun haben, dass die CD&V zu dem ominösen Geheimtreffen am vergangenen Wochenende nicht eingeladen war. Aber, vielleicht war sie das auch deswegen nicht, weil sie im Moment das Fahrwasser der N-VA nicht verlassen will. Und das ist nach wie vor die Parteilinie. Der CD&V-Spitzenpolitiker und amtierende Justizminister Koen Geens hat das am Freitag in der VRT nochmal wiederholt. Eine Erklärung für diese Haltung, wenn auch vielleicht nicht die einzige, ist, dass man auch bei der CD&V verhindern will, dass die N-VA in den nächsten vier Jahren ihre Paraderolle spielt, die des Opfers nämlich. Die CD&V wird die N-VA also wohl erstmal nicht loslassen.
Wird sich das nicht vielleicht noch ändern? Seit dem späten Nachmittag kennen wir ja den Namen des neuen CD&V-Vorsitzenden. Es ist Joachim Coens, der beim CD&V-Mitgliederentscheid die meisten Stimmen bekommen hat. Könnte der jetzt nicht den Kurs der CD&V verändern?
Ich denke nicht. Beide Kandidaten, Joachim Coens und auch sein Herausforderer, der Jung-CD&V-Vorsitzende Sammy Mahdi, waren sich in diesem Punkt einig: Beide haben sie, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, eine Koalition ohne die N-VA ausgeschlossen. Heißt: an dieser Haltung wird sich wohl erstmal nichts ändern.
Jetzt liegt also die Entscheidung bei König Philippe. Informator Paul Magnette wird am Montag dem Staatsoberhaupt erneut Bericht erstatten. Der König ist da in einer doch komplizierten Lage, oder?
König Philippe hat im Großen und Ganzen zwei Möglichkeiten: Entweder, er geht auf das Magnette-Szenario ein. Dann würde er wohl einen Regierungsbildner benennen; und das wäre dann vielleicht ein oder eine Liberale. Oder, König Philippe geht auf den Druck aus Flandern ein und macht einen N-VA-Politiker zum Informator; das wäre wohl Bart De Wever. Und dann würden wir wieder eine Runde drehen. Beides ist denkbar, und beide Szenarien sind nicht ohne Risiko.
Roger Pint