Jan Van Eyck statt Anne Teresa De Keersmaeker. Mit dieser einfachen Formel haben einige Zeitungen die Kulturpolitik der neuen flämischen Regierung auf den Punkt gebracht: Altes erhalten, statt Neues zu fördern.
Es ist ein veritables Erdbeben, das den flämischen Kultursektor da vor einigen Tagen erschüttert hat. Die neue flämische Regierung hat sich vorgenommen, die Zuschussvergabe einmal unter die Lupe zu nehmen. In der Praxis kommt das einer Umverteilung gleich.
Im Kultursektor fühlt sich das aber in den meisten Fällen wie eine Rosskur an. Zwar bekommen einige Einrichtungen durchaus auch mal mehr Geld als bisher. Vor allem im Bereich der Bühnenkunst wird aber regelrecht gesäbelt.
Einschnitte müssen viele Häuser erstmal bei den strukturellen Zuschüssen hinnehmen, da geht es also im Wesentlichen um die Funktionskosten. In diesem Bereich kürzt die Regierung ihre Hilfen um drei bzw. sechs Prozent. Vergleichbare Sparmaßen gibt es auch in anderen Bereichen, da stellt die Kultur keine wirkliche Ausnahme dar.
Ganz anders sieht das aus bei den sogenannten "Projekt-Zuschüssen". Das sind zeitweilige, projektbezogene Hilfen, die es einem Künstler zum Beispiel erlauben, sein Programm auf die Bühne zu bringen. Hier gibt es also einen Topf, den man - nach Einreichen eines entsprechenden Antrags - nach Bedarf anzapfen kann.
Projekt-Zuschüsse
Die neue Regierung will diese Projekt-Zuschüsse zusammenstreichen: um 60 Prozent. "Das wäre mittelfristig der Tod der flämischen Kulturszene", sagte in der VRT der bekannte Schauspieler Michael Pas, der auch Sprecher der flämischen Schauspielergilde ist. Man sollte nämlich die Kulturwelt nicht auf seine Stars reduzieren.
"Jeder hat mal klein angefangen. Und entsprechend sind diese Projekt-Zuschüsse so etwas wie ein Labor. Mit diesem Geld bekommen junge Talente erst die Möglichkeit, ihre einzigartigen und innovativen Kreationen auszuarbeiten. Wenn man dieses Labor trockenlegt, dann versiegt irgendwann auch der Zustrom neuer Künstler."
Kein frisches Blut mehr, die Kultur bleibt stehen, junge Leute kriegen keine wirkliche Chance mehr. Und hier wird einer kleinen Szene unrecht getan, sind sich die Künstler einig. "Die flämische Kultur strahlt weit über die Grenzen hinaus, man schaut neidisch auf Flandern. Das wird jetzt alles aufs Spiel gesetzt - und hier sind am Ende alle Verlierer", sagt Michael Pas
Die flämische Regierung reagierte zunächst mit Unverständnis auf die Kritik der Kulturschaffenden. "Wir wollen als Regierung auch investieren", sagte der flämische N-VA-Finanzminister Matthias Diependaele in der VRT. "Um investieren zu können, müssen wir sparen. Wir haben also in allen Bereichen die Schrauben angezogen. Jetzt von den Kulturschaffenden zu hören, dass man überall sparen darf, nur nicht bei ihnen, das finde ich schon recht schockierend."
Schlag ins Gesicht
"Schockiert ist der Minister?", reagiert Michael Pas von der Schauspielergilde. "Bei allem Respekt, ich bin schockiert. Und wütend." Der Kultursektor habe in den letzten Jahren schon Einsparungen in Höhe von 21 Prozent hinnehmen müssen. "Wir haben das immer hingenommen, immer nochmal den Riemen enger geschnallt. Das hier schlägt jetzt aber dem Fass den Boden aus. Das ist ein Schlag ins Gesicht."
Aus Regierungskreisen hört man da häufig aber auch eine rein wirtschaftliche Argumentation. Nach dem Motto: Wer wirklich was kann, und die Menschen begeistert, der kann auch davon leben. Zumindest zwischen den Zeilen kann man hier herauslesen, dass die Regierung vor allem ein Problem hat mit "progressiver" Kunst, die sich also nicht unbedingt an ein breites Publikum wendet.
In Kommentaren in Sozialen Netzwerken wird die Kulturszene auch immer wieder gerne als "arrogant, links und elitär" gebrandmarkt. Die Künstler und auch viele Zeitungskommentatoren verstehen die Maßnahme denn auch als eine Art Rache-Aktion - gerichtet gegen Kulturschaffende, die fast schon von Natur aus nicht unbedingt den Nationalismus, im vorliegenden Fall den flämischen, in ihr Herz geschlossen haben.
Die Kulturszene will sich in jedem Fall nicht kampflos beugen. 2.000 Künstler haben sich am Dienstag spontan in der Brüsseler Beursschouwburg versammelt, um gemeinsam über mögliche Reaktionen zu beraten.
In Flandern braut sich längst eine Art Kulturkampf zusammen. Das öffentlich-rechtliche Medienhaus VRT fühlt sich ja auch von der Regierung in die Mangel genommen, wobei Inhalte da offensichtlich eine nicht unwesentliche Rolle spielen. In den nächsten Tagen und Wochen dürfte der Brüsseler Martelaarsplein, wo die flämische Regierung ihren Sitz hat, wohl noch des Öfteren von Demonstranten in Beschlag genommen werden.
Roger Pint