Raunen, Zwischenrufe, Zurechtweisungen von der neuen Parlamentsvorsitzenden Liesbeth Homans. Solche Szenen kennt man eigentlich eher aus der föderalen Kammer. Gleich zu Beginn der Plenarsitzung des Flämischen Parlaments am Freitag flogen erstmal die Fetzen. Dabei sollte es doch eigentlich ein besonderer Tag sein: Auf dem Programm stehen die Debatte über die Regierungserklärung und im Anschluss dann die Vertrauensabstimmung.
Wenn die Stimmung dieses parlamentarischen Auftakts ein Vorgeschmack ist auf das, was da noch kommen wird, dann kann man nur sagen: "Na, das kann ja heiter werden". Schon am Mittwoch hatte es ziemlich laute Misstöne gegeben. Im Anschluss an die erste Regierungserklärung des frisch gebackenen Ministerpräsidenten Jan Jambon ging die Opposition auf die Barrikaden.
"Wo sind die Zahlen?", wetterten alle Oppositionsfraktionen wie aus einem Mund. Die Regierung könne doch nicht allen Ernstes ein Koalitionsabkommen vorstellen, ohne auch nur eine einzige Maßnahme detailliert zu beziffern. Deswegen hatte schon am Mittwoch die Sitzung auf Druck der Opposition zwischenzeitlich unterbrochen werden müssen.
Am Freitagvormittag ging es aber nahtlos weiter. In der Zwischenzeit hatte eine neue Episode für zusätzliche Spannungen gesorgt: Jan Jambon war am Abend zuvor zu Gast auf einem Empfang der flämisch-nationalistischen Meinungsseite "Doorbraak.be". Und dabei soll er einen Satz fallengelassen haben, der wie eine Provokation klingt. "Wir haben die Haushaltstabellen, sie befinden sich in einer Mappe auf meinem Schreibtisch. Aber wenn die Opposition danach fragt, neige ich dazu, die Tabellen nicht freizugeben", wird Jambon zitiert.
Nachdem ein Journalist den Satz auf Twitter veröffentlicht hatte, folgte gleich ein Sturm der Entrüstung. "Missachtung der Opposition und des Parlaments" konnte man da häufig lesen. Ein Groen-Politiker bezeichnete Jambon gar mehr oder weniger ausdrücklich als "autoritär". Oppositionspolitiker hatten jedenfalls angekündigt, den Saal zu verlassen, falls die Vertrauensabstimmung angesetzt wird, ohne dass vorher die Zahlen freigegeben seien.
Die Sitzung am Freitag stand also unter einem schlechten Stern. Der Ministerpräsident wollte denn auch das Bild zunächst zurechtrücken. Klar gebe es Haushaltstabellen, sagte Jambon gleich zum Auftakt. Das seien aber Arbeitsdokumente gewesen. Die Zahlen seien noch nicht in ihre endgültige Form gebracht worden.
Die Zahlen würden Anfang nächster Woche nachgereicht, darüber könne dann immer noch ausgiebig debattiert werden. Erstmal gehe es nur um das Programm der neuen Regierung - "unsere Richtung, unsere Vision, unsere Ambition. Und darüber möchten wir heute abstimmen lassen. Wenn die Zahlen einmal da sind, dann können wir darüber debattieren solange, wie wir wollen", sagte Jambon.
"Lassen wir doch jetzt mal die Kirche im Dorf. Ich soll die Demokratie mit Füßen treten? Ich soll schlimmer sein als die Nazis und die Kommunisten? Und das nur, weil ich die Debatte über Zahlen um zwei Werktage verschiebe? Entschuldigung, mir war nicht klar, dass ich mich hier so schrecklich verhalten habe. Ich mach's nicht mehr, versprochen", fügt Jambon sarkastisch hinzu.
Die Opposition konnte er damit aber offensichtlich nicht überzeugen. Jos D'Haese von der PTB erwiderte: "Der Ministerpräsident behauptet, die Demokratie zu respektieren. Dann hat er eben keine Ahnung von parlamentarischen Gepflogenheiten. Die Regierung hat dem Parlament gegenüber Rechenschaft abzulegen, und das nicht dann, wenn es ihr passt."
"Sie kriegen keinen Blankoscheck von uns", wetterte auch der rechtsextreme Vlaams Belang. "So geht es nicht! Das hier ist das Herz der Demokratie", sagte auch der Groen-Fraktionschef Björn Rzoska.
Die Sitzung wurde dann auch unterbrochen. Beide Seiten konnten sich aber offensichtlich nicht annähern. Unter anderem Groen beantragte dann noch eine Vertagung der Debatte, bis eben die Zahlen vorliegen. Die Mehrheit blieb aber auf ihrem Kurs, der Antrag wurde verworfen. Die Tagesordnung werde beibehalten, sagt Parlamentspräsidentin Homans. Daraufhin packten alle Oppositionsfraktionen ihre Sachen und verließen stillschweigend den Sitzungssaal.
Der Eklat war damit perfekt. Die Mehrheit hat ihre Vertrauensabstimmung alleine abgehalten. Wenig überraschend sprachen N-VA, CD&V und Open VLD der neuen Regierung das Vertrauen aus. Jambon will den Haushalt für das kommende Jahr am Montagnachmittag im Parlament vorstellen. Er betonte zum Abschluss noch einmal, dass er das Parlament immer schon respektiert habe, und dass das auch in Zukunft so sein werde.
Roger Pint