Die Sonderparteitage am Dienstagabend sind wohl nicht mehr als eine reine Formalität. Es wäre schon ein wirklich dicker Hund, wenn die Mitglieder einer Partei das Koalitionsabkommen jetzt noch verwerfen würden.
Allerdings kann man wohl auch davon ausgehen, dass das Ganze nicht überall völlig geräuschlos über die Bühne gehen wird. Man denke da vor allem an die beiden "Juniorpartner" in der Koalition, nämlich CD&V und OpenVLD. Wenn man sieht, was so alles vereinbart wurde, dann ist es wohl nur schwer vorstellbar, dass alle freudig damit einverstanden sind. Ums mal klar und deutlich zu sagen: Einige Kapitel, oder einige Punkte des Regierungsprogramms fühlen sich so an, als habe der rechtsextreme Vlaams Belang Pate gestanden.
Ein gutes Beispiel ist das Thema Unia, das föderale Zentrum für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung. Flandern wird Unia verlassen und ein eigenes, neues Zentrum aufbauen. Eine solche Entscheidung - und da sind sich viele Beobachter einig - hätte man noch bis vor Kurzem nie mit der CD&V machen können. Insgesamt muss man sagen, wirkt das Ganze über weite Strecken wie das Programm einer doch betont rechten Regierung, mit einem ziemlich nationalistischen Anstrich. Und, viele Beobachter sagen auch: Es ist sehr schwierig, in dem Text auch nur irgendwo die CD&V oder die OpenVLD wiederzufinden.
Details des Koalitionsabkommens
Die großen Leitlinien des Koalitionsabkommens waren bereits am Montag von den einzelnen Parteichefs vorgestellt worden. Grob zusammengefasst will man 120.000 neue Arbeitsplätze schaffen und in der Migrationspolitik eine deutlich strengere Gangart wählen.
Jetzt, wo der Text veröffentlicht wurde, werden aber auch noch kleinere Unterpunkte bekannt, die durchaus bemerkenswert sind. Beispiel: Es soll künftig einen flämischen Justizminister geben. Das klingt im ersten Moment paradox. Die Justiz ist nämlich eigentlich immer noch eine föderale Materie. Die Gemeinschaften sind aber schon zuständig für Teilaspekte der Justiz, etwa die Justizhäuser oder auch Überprüfung gewisser Bewährungsauflagen. Nur: Wenn Flandern sich jetzt einen Justizminister gibt, dann ist das wohl auch als politisches Signal zu verstehen, ein Schritt mehr zur Unabhängigkeit.
Anderes Beispiel: die VRT. Die neue flämische Regierung hat sehr konkrete Pläne, wie die öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt in Zukunft aussehen soll. Und bei der VRT dürfte der eine oder andere mal geschluckt haben. Das Angebot wird schon bald ganz anders aussehen. Grob zusammengefasst: Man hat den Eindruck, dass die VRT in Zukunft nur noch "komplementär" sein soll zum privaten Medienangebot, nur noch das bringen soll, was die anderen nicht bringen - das natürlich in erster Linie mit Blick auf Flandern. So soll die VRT zum Beispiel auch nicht mehr teure Sportrechte erwerben dürfen. Und noch ein Beispiel: Die neue Regierung will das Beamtenstatut abschaffen.
Noch ein Thema, über das wir in letzter Zeit viel geredet haben: Klimaschutz. Hier will die neue Regierung im Vergleich zum bisherigen Stand zurückrudern. Die Klimaschutzziele wurden nach unten korrigiert, sind also weniger ehrgeizig. Greenpeace nannte die Entscheidung sinngemäß einen "schlechten Witz".
Nationalistischer Anstrich
Eins muss man dabei aber sagen: Das entspricht irgendwie auch dem Wahlergebnis. Niemand kann sagen, dass sich da so anfühlen würde, als hätte keine Wahl stattgefunden. In dem Programm sieht man tatsächlich den Rechtsruck, den wir am Wahlsonntag gesehen haben.
Es ist also ein doch rechtes Programm, mit nationalistischem Anstrich und mit nur einer bescheidenen Klimaschutzambition. Also so ungefähr das Gegenteil von dem, was die Wallonen gemacht haben. Da stellt sich die Frage: Wie soll man denn da jetzt eine Föderalregierung auf die Beine stellen? Zumal inzwischen auch deutlich wird: Vieles von dem, was im flämischen Regierungsabkommen steht, geht nur, wenn der Föderalstaat "mindestens mitspielt". Die föderale Ebene muss also manchmal erst noch die gesetzliche Grundlage schaffen. Wenn man jetzt böse ist, dann kann man den Eindruck haben, dass das Drehbuch schon vorgeschrieben ist. Nach dem Motto: "Wenn dies und jenes nicht geklappt hat, dann ist das nicht unsere Schuld, sondern die des Föderalstaats, oder der Frankophonen, oder beides.
N-VA-Chef Bart De Wever hat jedenfalls noch eine klare Ansage in Richtung der PS geschickt: "Ich will erst wissen, ob die PS mit mir reden wird aus reiner Höflichkeit, oder ob sie es ernst meint. In der Wallonie hat man eine Regenbogenkoalition gebildet. Wenn man das auch auf der föderalen Ebene anstrebt, dann braucht man gar nicht mit uns zu reden."
Damit scheint die Regierungsbildung seit Dienstag noch schwieriger geworden zu sein, als sie das ohnehin schon war.
Roger Pint