Als vor knapp drei Jahren der Skandal bei der Lütticher Interkommunalen Publifin ausbrach, die heute Enodia heißt, kam schnell ein Mann ins Kreuzfeuer der Kritik, der auch heute noch unter dem Dach von Enodia arbeitet: Stéphane Moreau. Damals war er noch PS-Mitglied, wurde aber von der Partei ausgeschlossen, als seine angeblichen Machenschaften als Chef der Publifin-Tochtergesellschaft Nethys bekannt wurden.
Moreau hatte Nethys zu einem profitablen, aber auch undurchsichtigen und viel verzweigten Unternehmen aufgebaut. Viele forderten im Zuge des Skandals die Entlassung der Reizfigur Moreau. Doch der ist immer noch Chef von Nethys. Aber nicht mehr lange. Denn am Dienstag wurde bekannt, dass er wahrscheinlich bald entlassen werden soll.
Die Ankündigung kommt doch ein bisschen überraschend. Denn Moreau hatte sich bislang immer dagegen gewehrt, seinen Posten bei Nethys aufzugeben. Im Zuge des Skandals bei Publifin wurde damals auch gesagt, dass es gar nicht so leicht sei, Moreau zu entlassen. Denn er habe sich rechtlich so gut abgesichert in dem von ihm aufgebauten Nethys-Imperium, dass eine Entlassung im Grunde nicht möglich sei oder aber so viel Geld kosten würde, dass es besser wäre, ihn weiter zu beschäftigen.
Viele Fragen
Jetzt kündigt sich aber wohl doch das Ende von Moreau an. Die Erklärung dafür gab der Vorsitzende des Verwaltungsrats bei Nethys, Pierre Meyers. Der lässt sich am Dienstag von der Zeitung Le Soir mit den Worten zitieren: "Es gibt seit langem einen ungerechtfertigten Druck seitens der Politik, das Top-Management von Nethys zu entlassen." Diesem Druck gebe man jetzt nach. Sobald die Neustrukturierung von Nethys abgeschlossen sei, werde man das Management und damit auch Moreau entlassen, so Meyers.
Die Entscheidung wirft einige Fragen auf. Zum Beispiel: Warum ist jetzt plötzlich etwas möglich, was vorher anscheinend nicht möglich oder durchsetzbar war? Mehr als Anhaltspunkte gibt es bislang noch nicht. So ganz genau, weiß man nicht, warum das mit dem Entlassen jetzt wohl angeblich kaum ein Problem ist, vorher aber sehr wohl ein großes Problem war. Zumal die Modalitäten der Entlassung sicher alles andere sind, als das, was Top-Manager normalerweise erleben. Moreau und neben ihm noch drei weitere Manager sollen nämlich ohne Abfindung gehen, ohne irgendwelches Geld mit auf den Weg in die Arbeitslosigkeit zu bekommen.
Das ist schon bemerkenswert, öffnet aber auch Tür und Tor für Spekulationen. Und die haben mit den neuen Vorwürfen an Nethys zu tun, die in den vergangenen Tagen für einige Schlagzeilen gesorgt haben. Unternehmen wie Voo oder auch Win werden ja jetzt verkauft, weil die Politik Nethys zur Privatisierung dieser Unternehmen zwingt. Nethys muss sich von allen Mehrheiten trennen, die Nethys an solchen Unternehmen hat. Bei Voo und Win hat jetzt für Ärger gesorgt, dass die beiden Unternehmen bereits im Mai ganz still und heimlich verkauft worden sind, ohne dass auch nur die Muttergesellschaft von Nethys, also Enodia, davon erfahren haben soll.
Selbstbedienung
Was hat das jetzt mit der Entlassung von Moreau zu tun? Nun, zwei Dinge. Erstens: Wenn dieser Verkauf der Unternehmen abgeschlossen ist, ist auch die Mission von Moreau erfüllt. Nach Ende des Verkaufs soll Moreau dann entlassen werden. So kündigte Meyers es am Dienstag an.
Zweitens: Das Unternehmen Win, das Informatikdienstleistungen für öffentliche Verwaltungen und Krankenhäuser anbietet, wird von dem Unternehmen Ardentia Tec gekauft. Dieses Unternehmen ist erst im Juli offiziell gegründet worden und zwar von einem Kollegen von Moreau im Nethys Verwaltungsrat, dem Lütticher Unternehmer François Fornieri. Der hat auch noch ein weiteres Unternehmen von Nethys gekauft, nämlich den Energiebetrieb Elicio. Und im Grunde übernimmt Fornieri auch Stéphane Moreau. Der soll nämlich Geschäftsführer von Ardentia Tec werden. Hat also nach seiner Entlassung bei Nethys direkt wieder einen neuen Job, eine neue Verantwortung und zwar für Unternehmen, die er von Nethys schon kennt.
Das riecht stark nach Selbstbedienung. Vor allem vor dem Hintergrund der Skandale bei Publifin bekommt man da doch schnell den Verdacht, dass etwas nicht stimmt. Auch, wenn die betroffenen Akteure am Dienstag in Le Soir beteuern, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei.
Das würde dann vielleicht auch erklären, warum Moreau sich nicht dagegen wehrt, ohne Abfindung bei Nethys entlassen zu werden. Weil er eben schon weiß, wie es weitergeht und sich im Grunde selbst schon um seine Abfindung gekümmert hat, zusammen mit Fornieri und der neu gegründeten Firma Arentia Tec. Das sind allerdings Spekulationen und natürlich weiß man auch noch nicht, wie Moreau tatsächlich reagieren wird, wenn er entlassen werden sollte. Ob er dann z. B. auch einen Rechtsstreit anfängt und Geld einklagen will. Das alles ist aktuell noch offen.
Politische Reaktionen
Bei der Politik steht die Personalie Moreau gerade nicht so zentral im Mittelpunkt. Da ist man eher bestürzt und entsetzt über die erneuten Ungereimtheiten bei Nethys. Eben den geheim gehaltenen Verkauf des Kabelnetzbetreibers Voo, ein Unternehmen, mit dem man viel anfangen kann. Quasi ein Unternehmen von öffentlichem Interesse.
Einige Politiker fordern schnelle Maßnahmen, etwa dass ein Sonderbeauftragter der wallonischen Regierung jetzt die Geschäfte bei Nethys in die Hand nehmen soll, um sicherzugehen, dass dort alles in vollkommener Transparenz abläuft. Der zuständige PS-Minister Pierre-Yves Dermagne bremst das noch aus. Er will erst einen Briefverkehr starten und die Position von Nethys hören.
In dieser Sache ist das letzte Wort noch längst nicht gesprochen. Nethys und damit auch Moreau werden Politik und Öffentlichkeit sicher noch ein paar Wochen, wenn nicht gar Monate weiter beschäftigen. Und wieder einmal mit so etwas wie einem Skandal.
Kay Wagner