Die Zeitung Le Soir glaubt, dass wir im Januar oder Februar nächsten Jahres für die föderale Ebene wählen gehen. Dieses Szenario, so schreibt die Zeitung, kursiere jedenfalls derzeit in der Rue de la Loi.
Und auch die flämische Zeitung De Morgen hat sich am Mittwoch die Frage gestellt, ob nicht doch vielleicht Neuwahlen denkbar wären. Die Antwort ist aber das exakte Gegenteil: "Die Möglichkeit, dass wir bald wieder wählen gehen müssen, geht gegen Null", schreibt De Morgen am Mittwoch auf Seite eins.
Zwei Blätter, zwei unterschiedliche Einschätzungen also. Wie ist das zu erklären? Vielleicht damit, dass Le Soir eine frankophone Zeitung und De Morgen eine flämische ist. Wenn man will, kann man hier herauslesen, auf welcher Seite der Sprachgrenze Neuwahlen riskanter wären. Insgesamt kann man befürchten, dass die Extreme gestärkt würden.
Auf flämischer Seite ist die Gefahr groß, dass der Vlaams Belang noch stärker würde. Die Rechtsextremisten hatten in den letzten Wochen viel Medienpräsenz und durch die Gespräche mit der N-VA sind sie auch noch salonfähiger herübergekommen.
Auf der frankophonen Seite sieht das anders aus. Die linksextreme PTB ist zwar stark, aber eigentlich haben sich die Marxisten selbst aus den Verhandlungen zurückgezogen. Hier scheint die Gefahr einer weiteren Stärkung der Extreme nicht ganz so groß.
Le Soir gibt im Wesentlichen wieder, was bei der PS häufig zu hören ist. Man liest und hört auch anderswo, dass viele frankophone Sozialisten wohl Neuwahlen bevorzugen würden. Parteichef Elio Di Rupo schließe dieses Szenario aber offiziell bislang aus. Dass Le Soir das jetzt so affirmativ schreibt, kann in Flandern durchaus als Drohung verstanden werden. Nach dem Motto: "Hört mal, Freunde, es ist nicht so, als hätten wir hier keine andere Wahl, als uns mit der N-VA an einen Tisch zu setzen, um über Konföderalismus zu reden".
Natürlich ist aber auch jedem klar, dass Neuwahlen zu einer Art "Wahl der Wahrheit" würden. Dann ginge es klar und ausdrücklich um die Zukunft des Landes - und das ist die Büchse der Pandora.
Die politische Sommerpause neigt sich jedenfalls langsam ihrem Ende zu. Am 9. September müssen die beiden Informatoren wieder dem König Bericht erstatten. Irgendetwas muss also in den nächsten zweieinhalb Wochen passieren. Der Faktor Zeit scheint nach wie vor ganz wichtig. All die Parteien, die den einen oder den anderen ausgeschlossen haben, können nicht jetzt schon von diesem Veto abrücken. Dafür ist es noch zu früh; das wäre noch nicht zu verkaufen.
Im Moment gibt es für die Parteien ohnehin Wichtigeres, nämlich das, was auf der regionalen Ebene passiert. Die N-VA muss in Flandern ihre Koalition mit CD&V und OpenVLD in trockene Tücher bringen. Und für die PS ist die Situation noch komplizierter. Die Sozialisten haben wohl Angst, dass die Grünen in der Wallonie abspringen. Dann wäre die PS plötzlich mit der MR allein und man hätte eine starke linke Opposition, mit gleich zwei Wahlsiegern, nämlich Ecolo und PTB. Für die PS würde es dann noch schwieriger, auf der föderalen Ebene mit der rechten N-VA zu koalieren. Das Ganze ist also schon ziemlich haarig...
Bei alledem ist auch wieder nicht verwunderlich, dass man über Neuwahlen nachdenkt. Und der Gedanke ist wohl nicht vom Tisch. Wirklich spannend wird es aber in rund sechs Wochen. Mitte Oktober muss Belgien der EU einen Haushalt vorlegen. Es gibt eine klare Frist, also Druck von außen. Und dann wird sich tatsächlich was bewegen müssen.
Roger Pint