Bjorg Lambrecht, 22 Jahre alt, Radsport-Hoffnung in einem Radsport-verrückten Land, ist tot. Am Montag war er bei der Polen-Rundfahrt schwer gestürzt. Bei der dritten Etappe kam er rund 50 Kilometer nach dem Start auf klatschnasser Straße zu Fall. Die Fahrer waren zu dem Zeitpunkt mit 40 km/h unterwegs. Bjorg Lambrecht schlittert über die Fahrbahn und prallt mit voller Wucht auf ein Betonrohr. Noch am Straßenrand muss er wiederbelebt werden.
Der junge Mann hatte sich schwere innere Verletzungen zugezogen. So schwer, dass er nicht einmal per Hubschrauber transportiert werden konnte. Man zog stattdessen einen Krankenwagen vor. Stundenlang kämpften die Ärzte um sein Leben. Am Abend, gegen 19:00 Uhr, kam dann die schlimmst mögliche Nachricht: Bjorg ist nicht mehr.
Für die Familie und Freunde ist das alles natürlich ein einziger Albtraum. Und auch bei seinem Team schlägt die Meldung wie eine Bombe ein. Bjorg Lambrecht war bei Lotto-Soudal unter Vertrag. "Es war eigentlich ein Tag wie jeder andere", sagte Team-Manager Marc Sergeant in der VRT. Nichts Besonderes. Eine Etappe, die wahrscheinlich nicht wirklich wichtig werden sollte für die Gesamtwertung. Und es habe ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen, als er die Nachricht bekam, dass Bjorg schwer gestürzt sei und dass er ernste Verletzungen davongetragen habe.
"Und da werden natürlich Minuten zu Stunden", sagt Sergeant. Und dann doch: die furchtbare Nachricht. Wenn ein junger Fahrer auf solche Weise ums Leben kommt, da fehlen einem die Worte.
Schweigeminute
Die Nachricht schlug auch in Polen, bei Fahrern und Organisatoren, wie eine Bombe ein. Die heutige Etappe der Polen-Rundfahrt wurde neutralisiert: Heißt: Die Fahrer sind zwar aufs Rad gestiegen, die Wertung wurde aber ausgesetzt. Auch Lambrechts sechs Kollegen vom Team Lotto-Soudal sind an den Start gegangen. Wie es hieß, "um mit den anderen reden und das Ganze verarbeiten zu können".
Mit einer Schweigeminute war die Etappe schließlich zu Ende gegangen. Lambrechts Team Lotto-Soudal fuhr in Kocierz geschlossen als Erstes ins Ziel. Auf dem Zielbanner standen groß Lambrechts Name und seine Startnummer 143, getaucht in die Farben der belgischen Flagge. Danach hielten das gesamte Fahrerfeld, die Teams und Zuschauer inne, um an den 22-jährigen belgischen Radprofi zu erinnern.
Ob das Team Lotto-Soudal am Mittwoch noch bei der Polen-Rundfahrt dabei sein wird, ist noch offen. Von vielen Fahrern gab es Beileidsbekundungen, auch von den großen Stars wie Julian Alaphilippe, Geraint Thomas oder Philippe Gilbert.
"Alle sind betroffen"
Und natürlich ist auch in der Heimat nichts, wie es mal war. Der "kleine König von Knesselaere", so wurde Bjorg Lambrecht genannt. In der kleinen Ortschaft in der Provinz Ostflandern, zwischen Gent und Brügge gab es wohl niemanden, der Bjorg Lambrecht nicht kannte. Der 22-Jährige war der Held der ganzen Gemeinde. "Alle sind betroffen, still", sagte ein älterer Mann in der VRT. "Niemand kann's wirklich fassen; und doch ist es die harte Realität."
Die örtliche Kneipe ist regelrecht tapeziert mit Fotos, Zeitungsschnipseln und Trikots, die die doch schon sehr erfolgreiche Geschichte des jungen Radsportlers erzählen. Die Wirtin ist in Tränen aufgelöst. "Unser kleiner König. Ich kann's einfach nicht fassen. Wir sind alle am Boden. So ein netter Junge, der mit allen sprach, niemanden übersah."
Denn: Bjorg Lambrecht war vielleicht ein großes Radsporttalent, der junge Mann war aber auf dem Boden geblieben. Keine Spur von Arroganz.
Davon hatten sich auch die Fernsehzuschauer ein Bild machen können. Noch vor einigen Tagen war Bjorg Lambrecht in der VRT-Radsport-Talkshow Vive le Vélo zu Gast. Am Rande der Tour de France war das. Lambrecht galt als angehender Bergspezialist; endlich nochmal ein belgischer Kletterer. Im nächsten Jahr wolle er auch erstmals an der Grande Boucle teilnehmen, sagte Lambrecht. In diesem Jahr habe er sich für die Spanien-Rundfahrt entschieden, und 2020 werde es dann die Tour sein.
So weit wird es leider nie kommen. Mit Bjorg Lambrecht verliert der belgische Radsport einen seiner großen Hoffnungsträger.
Roger Pint