Mit Blick auf die föderale Ebene ist die Krise wohl inzwischen amtlich. Am Dienstag machten schon Meldungen die Runde, wonach die beiden Informatoren, Didier Reynders und Johan Vande Lanotte, das Handtuch werfen wollen. Der Grund: PS und N-VA wollen nicht miteinander reden.
Dabei ist die eine Partei das Spiegelbild der anderen. Die N-VA hat die PS genauso ausgeschlossen wie umgekehrt die PS nicht mit der N-VA reden will. Da gibt es nur eine kleine Nuance: Die N-VA würde sich mit der PS an einen Tisch setzen, wenn man in erster Linie über Konföderalismus sprechen würde. Das kommt für die frankophonen Sozialisten aber nicht infrage.
Nach dem N-VA-Modell würden alle Zuständigkeiten prinzipiell bei den Teilstaaten angesiedelt, mit Ausnahme einiger Bereiche, wie zum Beispiel die Armee, also die Landesverteidigung.
Die meisten flämischen Medien sehen da aber auch noch nicht wirklich klar. Das Konzept "Konföderalismus" sei nicht wirklich ausformuliert. Man darf aber davon ausgehen, dass die flämischen Nationalisten auch die Soziale Sicherheit aufspalten wollen. Und das kommt für die Frankophonen ebenfalls nicht infrage.
Den Informatoren Didier Reynders und Johan Vande Lanotte ist es bislang jedenfalls nicht gelungen, die beiden größten Parteien an einen Tisch zu bringen. Und im Moment sieht man auch nicht, wie oder warum sich das ändern sollte.
Auf föderaler Ebene scheint man die Dinge jetzt erstmal ruhen zu lassen. Es braucht Zeit, damit sich der Pulverdampf endlich mal legen kann, und damit die Parteien dem Wähler zeigen können, dass sie das Wahlergebnis zur Kenntnis genommen und die Botschaft verstanden haben.
Bedeutet aber auch, dass jetzt auf der regionalen Ebene ein Gang höher geschaltet werden kann. Beobachter sind sich nämlich einig, dass die Parteien auf der regionalen Ebene erstmal abgewartet haben. Man wollte nicht riskieren, dass man in den Regionen Fakten schafft, die dann die Regierungsbildung auf der föderalen Ebene noch schwieriger machen könnten.
In der Wallonie hat man bereits einen Gang höher geschaltet. PS und Ecolo scheinen jedenfalls durchaus ernsthaft miteinander zu verhandeln. Wobei viele Beobachter immer noch nicht glauben, dass der Klatschmohn irgendwann man lebensfähig sein könnte. Die CDH ziert sich jedenfalls weiter und will nicht den Mehrheitsbeschaffer geben.
In Flandern verhandelt derweil N-VA-Chef Bart De Wever weiter mit dem rechtsextremen Vlaams Belang. Und da wird anscheinend ebenfalls über konkrete Inhalte gesprochen. Doch auch hier hätten beide Parteien alleine keine Mehrheit - und eine Minderheitsregierung mit dem Vlaams Belang kann auf keinerlei Unterstützung von außen rechnen.
Peter De Roover, der N-VA-Fraktionschef in der Kammer, will jetzt, dass die anderen Parteien "die Drecksarbeit" übernehmen. Wenn insbesondere CD&V und OpenVLD nicht mit dem Vlaams Belang zusammenarbeiten wollen, dann sollten sie bitte mal den Bürgern erklären und darlegen, warum sie das nicht wollen. Heißt also: Die N-VA will, dass die anderen quasi dem Vlaams Belang oder zumindest einer Regierung mit dem Vlaams Belang den Todesstoß versetzen.
Nur: Das haben die längst. OpenVLD und CD&V haben schon vor Tagen gesagt, dass sie eine solche Regierung nie unterstützen würden, weil man ganz einfach nicht mit Rechtsextremisten zusammenarbeitet.
Die OpenVLD-Chefin hat dann am Mittwoch aber den Spieß umgedreht. Über Twitter hat sie sich an die N-VA gewandt - auf Latein, wie das ja auch N-VA-Chef Bart De Wever so gerne tut. "Quousque tandem abutere, Bart De Wever, patientia nostra" - "Wie lange will De Wever noch unsere Geduld strapazieren?" Und, in der Tat: Man darf gespannt sein, wie die N-VA am Ende den Stecker aus den Verhandlungen ziehen wird. Denn bis zum Beweis des Gegenteils gibt es keine Alternative: Eine Minderheitsregierung mit dem Vlaams Belang ist nicht überlebensfähig.
Bis am Ende wieder auf allen Ebenen Regierungen eingesetzt worden sind, braucht es wohl noch Geduld. Ob eine neue 541-Tage-Krise zu befürchten ist, bleibt abzuwarten. Die Zeit dafür haben wir aber nicht, denn im Herbst muss ein Haushalt geschnürt werden und Belgien muss auch der EU einen Klimaplan vorlegen, der Hand und Fuß hat. Beides erlaubt keinen Aufschub, ansonsten wird die EU die Daumenschrauben anlegen.
Weil beide Seiten sich eingraben, droht trotzdem eine neue Dauerkrise. Und weil die N-VA spürt, dass sie jetzt einen Hebel hat, um ihren Traum vom Konföderalismus durchzudrücken, eben, indem man den Beweis erbringt, dass das Land nicht mehr funktioniert. Deswegen hört man auch immer öfter das Wort "'Neuwahlen".
541 Tage - streng genommen sind wir fast schon auf halbem Weg. Wenn man mit dem Auseinanderbrechen der Regierung Michel I. am 8. Dezember beginnt, dann hat Belgien schon jedenfalls seit 200 Tagen keine handlungsfähige Regierung mehr.
Roger Pint