In der vergangenen Woche verabschiedete die Kammer eine eigene Liste. Artikel 1 war da zumindest nicht drauf, also der Artikel, der besagt, dass Belgien ein Föderalstaat ist und aus Regionen und Gemeinschaften besteht - und damit der Artikel mit der größten gemeinschaftspolitischen Sprengkraft.
Trotzdem ließ Premier Charles Michel postwendend verkünden, dass er diese Liste nicht unbedingt übernehmen werde, Veto dagegen einlegen werde. Das sorgte für einigen Wirbel, undemokratisch sei das, und Michel habe damit das Amt des Premiers mit dem des MR-Vorsitzenden im Wahlkampf vertauscht.
Im flämischen Radio wiederholte er am Mittwoch seine Skepsis, die er gegenüber dieser Liste hat. Er könne sich nicht in dieser Liste wiederfinden, es sei vielmehr eine Debatte darüber nötig, welche Artikel Risiken beinhalten. Und Risiken heißt hier: gemeinschaftspolitisches Chaos.
Wie eine Büchse der Pandora
Die belgische Verfassung sei wie eine Büchse der Pandora, so Michel. Wenn man nicht genau darauf achte, welche Artikel zur Änderung freigegeben werden, dann gebe es gemeinschaftspolitisches Chaos. Und das will Michel auf jeden Fall vermeiden, denn es bedeute nur mehr Verarmung und Spaltung.
Und damit schaltet Michel dann auch tatsächlich in den Wahlkampfmodus. Er weist mit dem Finger auf PS und N-VA. Die hätten vor ein paar Jahren während 541 Tagen das Land in einen lächerlichen und absurden Stillstand versetzt. Und damit stehe er auch nicht alleine. Die Bürger auch nicht, die wollten Antworten auf brennendere Fragen: Pensionen, Kaufkraft, administrative Vereinfachung, Klimapolitik und Digitalisierung.
Und davon habe die von ihm angeführte Regierung in den letzten vier Jahren schon einiges in Bewegung gebracht. Jetzt gelte es, da auch weiterzumachen und nicht alles wegen gemeinschaftspolitischer Diskussionen über eine mögliche siebte Staatsreform beiseite zu schieben.
Debatte
Dem Gerücht, am Anfang der Legislatur sei abgemacht gewesen, alle Verfassungsartikel würden am Ende zur Revision freigegeben, widerspricht der Premier. Man habe lediglich die verschiedenen Positionen der Regierungsparteien zur Kenntnis genommen und beschlossen, am Ende der Legislatur darüber eine Debatte zu führen.
Und dieser Zeitpunkt sei jetzt gekommen. Er habe es immerhin geschafft, die N-VA dazu gebracht zu haben, ihr gemeinschaftspolitisches Programm vier Jahre lang in den Kühlschrank zu stellen - und da sei er stolz drauf.
Volker Krings