Das hätte man von der CD&V so nicht erwartet: "Wir würden gerne eine siebte Staatsreform haben. Ab 2024." "Das ist neu", sagt dazu der Politologe Bart Maddens von der Universität Löwen. Denn auf dem Parteikongress von 2016 habe sich die Partei dafür ausgesprochen, wieder mehr Kompetenzen an den Föderalstaat zu übertragen. Das legte die Vermutung nahe, dass die Partei eher auf die belgische Karte setzten werde, als auf die Karte der Regionalisierung, analysiert Maddens.
Jetzt also die Kehrtwende. Oder vielleicht auch nur die vermeintliche Kehrtwende? Denn von einer einseitigen Schwächung des Föderalstaats, so wie das die flämischen Nationalisten von der N-VA fordern, ist bei CD&V-Präsident Wouter Beke nicht die Rede. Auch nicht von einer Blockade des Landes durch noch kompliziertere Strukturen, als es sie schon jetzt gibt.
Gegenüber der VRT sagte Beke am Montag: "Wir wollen keine Unregierbarkeit, keine Blockade des Landes, sondern wir wollen vielmehr unsere Hausaufgaben machen, um zu schauen, wie wir unser Land stärker machen können, aber auch wie wir die Teilstaaten stärken können." Man solle schauen, so Beke weiter, was die sechste Staatsreform gebracht habe, was noch fehle und welche Schritte unternommen werden könnten, um Verbesserungen zu erzielen.
Keine schlechte Idee
Keine schlechte Idee an sich, findet Politologe Maddens. Denn die Verfassungsrechtler seien sich einig, dass die sechste Staatsreform das ganze politische Gefüge in Belgien noch komplexer als vorher gemacht habe. "Das große Problem der sechsten Staatsreform ist gewesen, dass man es nicht geschafft hat, Befugnisse wirklich komplett zu übertragen", begründet Maddens diese Sicht. "Bei jeder Übertragung von Verantwortlichkeiten gab es sehr viele Ausnahmen und sogar Ausnahmen von den Ausnahmen."
Um die sechste Staatsreform zu verbessern, soll also die siebte her. Das Anliegen der CD&V ist es, diese siebte Staatsreform gut vorzubereiten. Nach den Wahlen im Mai will die CD&V dafür im flämischen Parlament einen Ausschuss einrichten, in dem alle Parteien darüber entscheiden sollen, welche Forderungen die Flamen für diese Staatsreform stellen wollen.
CD&V als Steigbügelhalter für die N-VA?
"Eigentlich eine ganz gute Idee", findet Verfassungsrechtlerin Céline Roumainville von der Universität Neulöwen. Denn dadurch gebe man sich die nötige Zeit, um alles fünf Jahre lang gründlich vorzubereiten. Dann müsse man nicht aufgrund einer Krise handeln, in Eile, und ganz wichtige Punkte für das politische Leben schnell und unter hohem Druck um 4 Uhr morgens entscheiden - was bei uns leider viel zu oft vorkomme, sagt Roumainville.
Die frankophonen Parteien, so die Verfassungsrechtlerin weiter, seien zwar sicher nicht sehr begeistert, das Thema Staatsreform bzw. Konföderalismus erneut zu diskutieren. Aber alles käme auf die Punkte an, um die es gehen könnte. Viel Sympathie für den Vorschlag der CD&V sei allerdings bei keiner frankophonen Partei zu vermuten.
Und dass der Vorschlag der CD&V nicht gerade unpassend vor den Wahlen im Mai kommt, verdeutlicht Politologe Maddens in seiner Analyse. Und zwar im Hinblick auf die föderale Ebene. "Was die CD&V jetzt vorschlägt, das wird es wohl der N-VA leichter machen, wieder Teil einer nationalen Regierung zu werden, ohne dass ihr dabei die Debatte um eine Staatsreform im Wege stehen würde. Da ja eine Staatsreform ab 2024 sowieso angepeilt würde", sagt er.
Die CD&V also quasi als Steigbügelhalter für die N-VA? Von der Hand zu weisen, ist diese Sicht nicht. Zumindest bezeichnete der N-VA-Fraktionsführer in der Kammer, Peter De Roover, den Vorstoß der CD&V als "gute Neuigkeiten". Um gleich wieder einzuschränken: Wenn man im flämischen Parlament schon nach zwei, drei Jahren fertig sei mit der Diskussion um die Staatsreform, warum dann noch bis 2024 warten, um sie umzusetzen?
Kay Wagner