Die Zahlen sind eindeutig. Vor sieben Jahren waren noch 4.224 Studierende für das Fach "Niederländische Sprache und Literatur" an flämischen Universitäten eingeschrieben. Im laufenden Studienjahr sind es nur noch 3.055. Die Zahl sank ständig. Nur vor zwei Jahren nahm sie kurz mal leicht zu. Gleiches Bild beim Nachbarfach "angewandte Sprachwissenschaften" der niederländischen Sprache. Von 3.235 Studierenden sank die Zahl auf heute 2.566.
Professor Yves T'Sjoen ist Professor für Niederländisch an der Universität Gent. Vor sieben Jahren waren seine Kurse noch gut gefüllt. Zurzeit unterrichtet er nur noch 20 Studierende in niederländischer Poetik. Zahlreiche Stühle und Tische in seinem Unterrichtsraum sind leer.
Der Professor hat vor 14 Tagen zusammen mit Kollegen und flämischen Schriftstellern einen offenen Brief in der Zeitung De Standaard veröffentlicht. Schon damals, vor der alarmierenden Nachricht aus den Niederlanden, hatten sie gefordert, mehr für das Sprachenfach zu tun.
Warum das Interesse am Niederländischen zurückgeht, dafür hat Professor T'Sjoen auch einige Erklärungen. Ein Grund sei, dass das katholische Schulwesen eine Stunde Niederländisch gestrichen habe. Vier statt früher fünf Stunden, weil man meint, das sei ausreichend, sei einfach ein falsches Signal, meint der Professor. "Außerdem denke ich", sagt er gegenüber der VRT, "dass die Studierenden noch stärker als früher das Gefühl vermittelt bekommen, mit dem Diplom des Niederländischen nichts anfangen zu können."
Aus diesen Worten ist die alte Diskussion von dem brotlosen Studium herauszuhören. Sprach- und Geisteswissenschaften - der Job als Taxifahrer ist gewiss.
MINT gefördert, Sprachen vernachlässigt
Die schwindende Attraktivität der Sprach- und Geisteswissenschaften habe auch viel damit zu tun, dass man bis in die Politik hinein in den vergangenen Jahren gezielt die sogenannten MINT-Fächer gefördert habe. Also die Fachrichtungen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technologie. Dadurch habe man dann aber auch - gewollt oder nicht - die Förderung des Sprach- und der Literaturunterrichts vernachlässigt, bedauert Professor T'Sjoen.
Dass aber auch das Studium der eigenen Muttersprache durchaus sinnvoll sein kann, auch wenn der Mehrwert sich nicht direkt durch wirtschaftliche Zahlen berechnen lässt, davon sind zumindest die Studierenden von Professor T'Sjoen überzeugt. "Es geht nicht darum, fünf Jahre lang Bücher zu lesen und dann ein bisschen darüber sprechen. Vielmehr wird in dem Fach kritisches Denken gelehrt. Und das ist doch das Ziel der Universität", sagt Student Sander Vandenhende.
Auch die flämische Bildungsministerin Hilde Crevits von der CD&V sieht den Wert der Sprache und will nach eigenen Worten alles tun, um die Zahl der Studierenden wieder zu steigern. Dafür will sie sich mit Kollegen aus den Niederlanden absprechen. Denn, so Crevits wörtlich: "Es ist wichtig für die Zukunft, dass die Liebe zu unserer Muttersprache und auch das Studium unserer Muttersprache ausreichend gewahrt bleiben."
Hoffnung?
Hoffnung also für Professor T'Sjoen und seine Zunft? Nicht sicher. Denn trotz Crevits' Worte gegenüber der VRT, war die flämische Politik doch lange untätig, als der Schwund am Interesse an der niederländischen Sprache bemerkt wurde. Auf den offenen Brief zum Beispiel, den T'Sjoen und seine Kollegen vor zwei Wochen im Standard veröffentlicht haben, gab es keine einzige Reaktion.
Ganz anders in den Niederlanden, wo sich nach der Entscheidung der Freien Universität Amsterdam, das Fach Niederländische Literatur aus dem Programm zu streichen, aktuell sogar das Parlament und Minister mit dem Problem des schwindenden Interesses an der Muttersprache befassen.
Kay Wagner