Der Fall sorgt seit Tagen für Schlagzeilen in der flämischen Presse. Das hat schon allein mit den Dimensionen zu tun: 16 Verdächtige waren schon in der vergangenen Woche verhaftet worden. Die Polizei hatte Dutzende Hausdurchsuchungen durchgeführt. Jetzt sind nach einer neuen Razzia noch einmal sieben weitere Personen festgenommen worden.
Im Mittelpunkt steht ein Clan, eine weitverzweigte Familie von türkisch-assyrischen Christen. Hier handelt es sich um eine Minderheit, die schon in der Frühzeit des Christentums im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien lebte. Wegen des syrischen Bürgerkriegs sind viele aus ihrer Heimat geflohen. Diese türkisch-assyrische Familie war offensichtlich ein Bigplayer in der Antwerpener Unterwelt.
Im November 2017 begannen Polizei und Justiz diskret mit Ermittlungen gegen den Clan. Verdächtige wurden beschattet, Telefone abgehört. So ergab sich nach und nach ein Bild. Jetzt hatten die Ermittler offensichtlich genug Material gesammelt für einen Zugriff. Am Dienstag vergangener Woche wurden 46 Hausdurchsuchungen durchgeführt, quasi auf dem gesamten Stadtgebiet von Antwerpen und auch im Umland.
Liste der Vorwürfe lang
Die Liste der Vorwürfe, die dem Clan zur Last gelegt werden, ist lang: Die Organisation sei verwickelt gewesen in Drogenschmuggel, Waffenhandel, Korruption und Urkundenfälschung, sagte Christel Minne, Sprecherin der Antwerpener Staatsanwaltschaft, in der VRT.
Drogenschmuggel? Da war doch was, denkt da wohl so mancher. Tatsächlich tobt in Antwerpen schon seit einiger Zeit ein Drogenkrieg. Da gab es auch einige spektakuläre Vorfälle: Im August 2017 war ein Mann in Schoten auf offener Straße niedergeschossen worden, als er seinen Hund ausführte - und das war nicht der einzige Anschlag dieser Art. Mehrmals explodierten sogar Handgranaten mitten in der Scheldestadt. Oft hieß es, dass der mögliche Hintergrund wohl besagter "War on Drugs" sei - Abrechnungen im Milieu oder Strafaktionen, etwa wenn eine Ladung Drogen nicht an ihrem Bestimmungsort angekommen war. Ob es zwischen diesen Vorfällen und dem jetzt aufgerollten Verbrecherclan einen Zusammenhang gibt, muss aber noch geklärt werden.
So wie es aussieht, hat man es in jedem Fall nicht mit Waisenkindern zu tun. Nach Medieninformationen habe der Clan ein Quasi-Monopol gehabt auf den Drogenschmuggel, der über einen bestimmten Hafenkai abgewickelt wurde. Ziel der Organisation sei es gewesen, ihren verbrecherischen Einfluss möglichst immer weiter auszuweiten, sagt die Justizsprecherin. Und mit diesem Ziel habe sie auch versucht, Einfluss zu bekommen in der Politik, in der Kirche, im Hafen. Und es gebe auch bemerkenswerte Verbindungen in die Türkei.
Einfluss - wie bekommt man den? Indem man zum Beispiel Strukturen infiltriert, Menschen kauft, Leute umdreht. Genau das soll auch passiert sein. Eine Mitarbeiterin der Antwerpener Stadtverwaltung wurde bereits wegen Korruptionsvorwürfen vom Dienst suspendiert. Noch spektakulärer: Am vergangenen Donnerstag wurde auch ein Beamter der lokalen Polizei festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, Handlangerdienste für den Clan durchgeführt zu haben. Der Mann musste allerdings schon nach drei Tagen wegen eines Prozedurfehlers wieder aus der U-Haft entlassen werden. Gegen ihn wird aber weiter ermittelt, unter anderem wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Bestechlichkeit und Verletzung des Berufsgeheimnisses.
Verbindung mit dem Fall Kucam?
Fast schon politische Brisanz bekam der Fall dann aber noch, als sich herausstellte, dass es auch eine Verbindung mit dem Fall Kucam gibt. Melikan Kucam, ein N-VA-Politiker aus Mechelen, soll ja eine Schlüsselfigur gewesen sein bei einem illegalen Handel mit humanitären Visa. Kucam gehört, wie der Clan, dem östlichen Christentum an und kennt auch einige Mitglieder.
Hier handele es sich aber nur um ein Nebendossier, sagt Sprecherin Christel Minne. Was beide Akten verbinde, das sei die Tatsache, dass die Verdächtigen allesamt türkisch-assyrischer Herkunft seien.
Da scheint den Antwerpener Polizei- und Justizbehörden jedenfalls ein ganz dicker Fisch ins Netz gegangen zu sein. In gewisser Weise wurde hier auch die Bestätigung geliefert für eine Mutmaßung, mit der Bart De Wever vor einigen Monaten noch viel Staub aufgewirbelt hatte. Der Antwerpener Bürgermeister hatte davor gewarnt, dass die Drogenschmuggler inzwischen so mächtig seien, dass sie sogar politische Parteien infiltrieren könnten. De Wever hatte dabei wohl nicht gedacht, dass das ausgerechnet seiner eigenen Partei passieren würde.
Roger Pint