Es gibt nur eine Handvoll Fälle in Belgien, die älter sind als der Fall von Simon Lembi. Fälle, in denen Kinder oder Jugendliche einfach so verschwunden sind, ohne, dass man je wieder eine Spur von ihnen gefunden hat.
Ine Van Wymersch erinnerte an diesen Tatbestand, als sie am Mittwoch in Brüssel gegenüber Pressevertretern verkündete, dass der Fall Simon Lembi jetzt aufgeklärt sei. Simon, der 1984 geboren wurde und im November 1999 zuletzt in Saint-Gilles gesehen wurde. "Er war damals 14 Jahre alt", sagte Van Wymersch.
Für die Familie war das Verschwinden ihres Sohnes damals ein Schock. "Unsere Mutter hat damals emotional so unter dem Verschwinden gelitten, dass sie einen Schlaganfall bekam", zitiert die Zeitung Het Laatste Nieuws am Donnerstag eine jüngere Schwester von Simon. Die Mutter sei seitdem halbseitig gelähmt.
Die Schwester erinnert sich noch genau an das letzte Mal, als sie ihren Bruder gesehen hatte. Sie war damals sechs Jahre als. "Er hat meine Mutter gedrängt, zu dem Gemeinschaftszentrum gehen zu dürfen, um dort fernzusehen", erzählt sie. "Als er gegangen ist, hatte er eine Tasche bei sich. Und dann ist er nie wiedergekommen."
Gründe unklar
Die Gründe für das Verschwinden bleiben auch heute noch unklar. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft berichtet von dem Gespräch, dass ihre Kollegen mit dem heute 34-jährigen Simon geführt hatten. "Er sagt, dass er vor 20 Jahren von sich aus und freiwillig weggegangen sei aus einer schwierigen familiären Situation. Mehr Informationen darüber will er nicht geben."
Was Simon mit den schwierigen Familienverhältnissen meinen könnte, kann sich seine neun Jahre jüngere Schwester nicht erklären. "Meine Eltern haben uns immer gut behandelt und auch nicht misshandelt, um es einmal klar auszusprechen", sagt sie gegenüber Het Laatste Nieuws.
Aber vielleicht meinte Simon damals auch etwas anderes. Die Familie war erst neun Tage vor seinem Verschwinden aus Angola als Flüchtlinge nach Belgien gekommen. Vielleicht war es auch die Angst vor der ungewissen Zukunft, die den Jugendlichen damals weg von der Familie trieb. So spekuliert zumindest die Zeitung La Dernière Heure am Donnerstag.
Viele Fragen
Hinweise darauf, dass Simon noch am Leben sei, gab es schon ein Jahr nach seinem Verschwinden. Die angolanische Gemeinde in den Niederlanden hatte wohl Informationen darüber, dass Simon sich in Arnheim aufhalten könnte. Das habe die Familie damals auch der Polizei mitgeteilt. Doch gefunden werden konnte Simon nicht.
Wie die Staatsanwaltschaft jetzt dem Verschwundenen auf die Spur gekommen ist, fasst Sprecherin Van Wymersch wie folgt zusammen: "Ein Verwandter des Mannes hat Kontakt aufgenommen mit der Meldestelle für vermisste Personen bei der Föderalpolizei und gesagt: Hört mal, den Simon Lembi, den ihr sucht, der lebt nun da unter dieser Identität."
Unklar bleibt, warum dieser Verwandte gerade jetzt diesen Kontakt zur Föderalpolizei suchte. Fakt ist: Nachdem die Staatsanwaltschaft genügend zuverlässige Informationen gesammelt hatte, haben man den Mann aufgesucht und mit ihm gesprochen. "Dabei hat der Mann gesagt, dass er tatsächlich Simon Lembi sei", berichtet Van Wymersch.
Kein Kontakt zur Familie erwünscht
Damit ist zumindest geklärt, was aus Simon Lembi geworden ist. Viele Fragen bleiben aber noch offen, gerade für seine Familie. Und Antworten wird sie wohl so bald nicht bekommen. Denn Simon Lembi wünscht zunächst keinen Kontakt zu seiner Familie in Belgien. Auch wo er genau wohnt und wie er jetzt heißt, soll nicht an die Öffentlichkeit dringen. Die Staatsanwaltschaft will das respektieren.
Für die Familie bleibt das schwer. Simons Schwester erzählt, dass sie am Mittwoch alle überaus glücklich waren und vor Freude geweint hätten, als sie die Nachricht bekommen hätten, dass Simon lebt und wohlauf sei. Zugleich seien sie aber auch todunglücklich darüber, dass er seine Familie nicht sehen will. "Vielleicht eines Tages ja doch", hofft seine Schwester.
Kay Wagner