Um 20 Uhr kommt Anwalt Vincent Lurquin am Dienstagabend nach Hause. Bis 19:30 Uhr hatte der Prozess um die Morde im Jüdischen Museum in Brüssel vom Mai 2014 gedauert. Jetzt freut sich der Anwalt auf seinen Feierabend.
Doch die Ruhe ist erst einmal dahin: Auf seinem Schreibtisch, wo sonst ein Laptop steht und sich die Unterlagen des Anwalts für den Prozess im Brüsseler Justizpalast befinden, liegen ein Baseballschläger und eine Kalaschnikow-Attrappe. Vom Laptop und den Unterlagen keine Spur mehr. Kein Zweifel: Hier waren Einbrecher am Werk. Oder auch nur ein Einbrecher allein. Lurquin meldet den Vorfall bei der Polizei. Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf.
Erste Erkenntnisse: Der oder die Täter sind durch den Keller in die Wohnung gelangt. Neben den Unterlagen zum Prozess um die Museumsmorde sind auch die Unterlagen zu einem anderen Prozess entwendet worden. Lurquin soll nämlich auch einen ehemaligen Informanten der Staatssicherheit verteidigen, der zurzeit in Marokko im Gefängnis sitzt. Ob zwischen den Diebstählen ein Zusammenhang besteht, muss die Staatsanwaltschaft jetzt herausfinden.
Der Prozess zum Museumsmord wurde Mittwochvormittag zunächst wie gewohnt fortgesetzt. Der föderale Staatsanwalt sah zunächst keinen Grund, den Prozess zu unterbrechen. "Die Unterlagen, die gestohlen wurden, gehören einem Anwalt. Das bedeutet, dass es sich um Unterlagen handelt, die der Anwalt sich zusammengestellt hat, um sich auf den Prozess vorzubereiten", erklärt Ine Van Wymersch, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Die eigentlichen Prozessunterlagen sind es also nicht, die bei Lurquin gestohlen wurden. "Die befinden sich in der Gerichtskanzlei. Normalerweise dürfte es deshalb auch kein Problem sein, den Prozess normal weiterzuführen. Aber das muss sich jetzt erst noch zeigen", so Van Wymersch.
Verunsicherung
Zunächst also keine Unterbrechung des Prozesses, aber durchaus Verunsicherung, vor allem in den Reihen der Geschworenen. Das sind ja einfache Bürger, die gleichsam per Zufall dem Prozess beiwohnen, um später ein Urteil in der Sache zu fällen. Viele von ihnen, so war es aus dem Justizpalast zu hören, fühlen sich jetzt unsicher und eingeschüchtert.
Ein Gefühl, dass der geschädigte Anwalt nur zu gut versteht. "Ein Geschworener zu sein, ist keine leichte Aufgabe", sagte Lurquin. "Von heute auf morgen Richter zu werden. Mit all dem Druck. Ich glaube, niemand hat sich das gewünscht. Das, was die Einbrecher wollen, ist, dass wir den Prozess abbrechen. Aber wir werden mit dem Prozess weitermachen."
Er, seine Kollegen und alle Verantwortlichen im Justizpalast würden sich alle Mühe geben, den Geschworenen und auch den Zeugen zu helfen, das Vertrauen in ihre Sicherheit wieder zu finden. "Man kann uns bedrohen", sagt Lurquin. "Aber wir werden vor diesen Bedrohungen nicht zurückweichen. Die Justiz wird ihre Arbeit weiterführen. Solche Dinge gehören zum Beruf eines Anwalts dazu."
Die Sicherheitsvorkehrungen rund um den Prozess, für Zeugen und Geschworene sollen nochmals verschärft werden. Für den Prozess gilt schon die zweithöchste Sicherheitsstufe. Und der Diebstahl der Anwaltsunterlagen sowie die hinterlassenen Drohgegenstände zeigen, dass das durchaus angemessen ist.
Denn außerhalb des Justizpalastes scheint es Menschen zu geben, die an der ungestörten Arbeit der Justiz im Fall der Museumsmorde nicht interessiert zu sein scheinen.
Sicherheitsstufe bleibt unverändert
Die Sicherheitsmaßnahmen und die Sicherheitsstufe beim Geschworenenprozess zum Anschlag auf das Jüdische Museum werden nicht erhöht. Das hat der Anti-Terrorstab Ocam beschlossen. Die föderale Staatsanwaltschaft hatte ein Treffen anberaumt, um über mögliche weitere Sicherheitsmaßnahmen nach dem Diebstahl von Prozessakten zu beraten.
Kay Wagner