November 1986: Vor fast genau einem Jahr hat die Killerbande von Brabant ein letztes Mal zugeschlagen. Es war die blutigste Attacke: Im Delhaize-Supermarkt von Aalst waren am 9. November 1985 acht Menschen brutal ermordet worden. Ein Jahr später lassen Ermittler den Kanal Brüssel-Charleroi von Tauchern durchsuchen. Besonders interessieren sie sich für den Bereich um Ronquières, nicht weit von Braine-le-Comte.
Die Taucher werden fündig. Und was für eine Entdeckung! In einigen Jutesäcken finden sie Waffen, kugelsichere Westen und Objekte, die offensichtlich von einer Beute von Kaufhausdieben stammen, unter anderem eine Kasse eines Delhaize-Supermarktes ist dabei. Das Herz der Ermittler muss höher geschlagen haben: An diesem 6. November 1986 haben sie wohl die Hinterlassenschaften der Killerbande von Brabant entdeckt. Das sollte sich später bewahrheiten: Nicht nur die Beutestücke, auch die Waffen können den Attacken der Killerbande zugewiesen werden.
Zufall?
Mehr, viel mehr noch: Einige der Waffen wurden bei der ersten Welle benutzt, also 1982 bis 1983. Andere Waffen konnten den Attacken von 1985 zugeordnet werden. Alles in ein und demselben Jutesack. Damit war der materielle Beweis erbracht, dass beide Wellen zusammenhingen, dass es sich also wahrscheinlich um dieselben Täter gehandelt hat. So klar war das nämlich nicht. Die Vorgehensweise war zwar ähnlich, man konnte aber nicht ausschließen, dass es sich 1985 um Nachahmungstaten gehandelt hatte.
Der Fund vom 6. November 1986 war ein erster, wirklicher Erfolg in den Ermittlungen um die Killer von Brabant. Und der ging auf das Konto der Sonderkommission "Delta", die im Auftrag der Staatsanwaltschaft Dendermonde ermittelte. Delta wurde später die Akte entzogen. Seit 1990 ist allein die Staatsanwaltschaft Charleroi zuständig - bis heute übrigens.
Im Grunde war der Konflikt zwischen Dendermonde und Charleroi ein weiteres Kapitel im fast legendären "Krieg der Polizeidienste". Auch eine damals viel beachtete Reportage des flämischen TV-Magazins Panorama von 1995 stellt sich auf die Seite von Dendermonde: "Ausgerechnet den Ermittlern wird die Akte entzogen, die die Waffen im Kanal Brüssel-Charleroi gefunden haben, die also den einzigen wirklichen Erfolg erzielen konnten. Unbegreiflich!"
Da gibt es nur ein Problem: Dieser "Erfolg" ist keiner mehr. Noch einmal zurück ins Jahr 1986: Man findet also Jutesäcke mit Waffen und sonstigen Beweisstücken. Schon damals wirkt das irgendwie so, als hätten die Täter ihre Visitenkarte hinterlassen. Der damals zuständige Untersuchungsrichter Freddy Troch musste das auch bei seiner Anhörung vor dem zweiten Untersuchungsausschuss 1997 offen zugeben: Das Ganze habe irgendwie so gewirkt, als habe jemand gewollt, dass man einen Zusammenhang zwischen den beiden Wellen herstellen konnte. Oft wurde das so erklärt, dass die Täter eben noch ein letztes Mal provozieren, ein letztes Mal die Ermittler bloßstellen wollten.
Ermittlungen manipuliert?
Frage war dennoch auch schon damals: Wie ist man eigentlich darauf gekommen, gerade dort zu suchen? Es gab einen naheliegenden Grund: ein kleines Waldstück unweit von Ronquières, der "Bois de la Houssière". Diesen Ort hatten die Ermittler schon als Rückzugsort der Killerbande identifiziert. Dort waren schon diverse Beweisstücke entdeckt worden.
Nur: Die damalige These war, dass die Täter nach ihrer letzten Attacke in Aalst ihre Waffen ein für allemal entsorgt hatten - eben in besagten Jutesäcken. Die hätten also demzufolge ein Jahr im Kanal gelegen. Inzwischen weiß man: Das war nicht so. Die Waffen und die anderen Beweisstücke haben sich nach heutigen Erkenntnissen höchstens ein paar Tage im Wasser befunden. Kann es Zufall sein, dass ausgerechnet ein paar Tage später die Ermittler mit ihren Tauchern anrücken?
Die föderale Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass das nicht so ist, dass die Ermittlungen vielmehr manipuliert worden sind. Es ist höchstwahrscheinlich, dass jemand eine Zeitlang im Besitz der Waffen war und der sie in den Kanal geworfen hat mit dem Wissen, dass sie wenig später gefunden würden, sagte schon vor einiger Zeit Eric Van der Sijpt, Sprecher der föderalen Staatsanwaltschaft.
Nur eine Killerbande?
Also, nochmal die Frage: Wieso hat man in Ronquières gesucht und wieso gerade im November 1986? Auf diese Frage hatte der damalige Untersuchungsrichter Freddy Troch schon 1997 vor dem Untersuchungsausschuss geantwortet: Den Tipp habe ein bestimmter Ermittler bekommen.
Genau dieser Ermittler ist jetzt festgenommen worden, ein ehemaliger Gendarm, der damals der Soko Delta angehörte. Nach Angaben der föderalen Staatsanwaltschaft wird ihm vorgeworfen, mindestens wichtige, vielleicht sogar entscheidende Informationen zurückgehalten zu haben. Frage, die gleich daran anschließt, ist natürlich: Warum? Und in wessen Auftrag?
Laut föderaler Staatsanwaltschaft sollen "Türen geschlossen werden". Nun, vielleicht öffnen sich dadurch ja neue. Mindestens eine Frage stellt sich vielleicht nach über 30 Jahren nun doch wieder neu: Gab es wirklich nur eine Killerbande? Oder gehen die beiden Wellen auf das Konto verschiedener Täter?
Roger Pint