In den frühen Morgenstunden des vergangenen Donnerstags wird Dominique Castronovo plötzlich durch den Alarm in seiner Tankstelle geweckt. Der 72-Jährige hatte in den Büroräumen der Tankstelle übernachtet. Nicht ohne Grund: Schon mehrmals war die Tankstelle Ziel von Einbrechern geworden. Und jetzt ist das schon wieder der Fall. Fünf Gestalten sind dabei, den Verkaufsraum der Tankstelle leer zu räumen.
Dominique Castronovo erscheint mit einer Schusswaffe in der Hand, die Täter fliehen, stürzen in den VW-Golf, der an der Tankstelle steht, Castronovo eröffnet das Feuer. Zweimal trifft er das Auto, als es noch steht, dreimal schießt er, als es schon fährt. Ein Insasse, der 19-jährige Mohamed Saoujae, wird schwer getroffen, verliert viel Blut und stirbt wenig später.
Die Reifen habe er treffen wollen, sagt Castronovo bei der Polizei. Jetzt sitzt er wegen Mordverdachts vorläufig hinter Gittern. Dienstag soll über das weitere Vorgehen gegen ihn entschieden werden. Bei Bürgern bekommt Castronovo unterdessen viel Unterstützung.
Rund 250 Bürger kamen schon am Freitagabend in Comblain-au-Pont zusammen, dort, wo sich das Drama abgespielt hatte. 250 Bürger, die ihren Protest gegen die vorläufige Festnahme des Tankstellenpächters Castronovo zum Ausdruck bringen wollten.
Sonntag sollen es sogar knapp 1.000 gewesen sein, die mit Plakaten und mit Slogans durch die Straßen der Ortschaft rund 15 Kilometer Luftlinie südlich von Lüttich zogen. Unterstützer von Castronovo, die sich empört gaben, dass man den Tankstellenpächter vorläufig festgenommen hat und dass ihm möglicherweise eine Strafe wegen Mordes droht.
„Das, was passiert ist, ist schrecklich“, sagte eine protestierende Frau gegenüber der RTBF. „Das darf nicht wieder passieren. Die Banditen sollen also alles machen dürfen, was sie wollen? Wir müssen uns angreifen lassen? Uns alles wegnehmen lassen, was wir uns im Leben aufgebaut haben? Das ist ungerecht. Es gibt keine Gerechtigkeit“, sagt eine Bürgerin.
„Das muss aufhören“, forderte eine andere Frau. „Das muss aufhören. Es muss aufhören, dass man einfach so Geschäftsleute angreift und diese nicht das Recht haben sollen, sich zu wehren. Ich arbeite auch in einem Geschäft, und wir sind ständig in Gefahr. Unmöglich ist das.“
„Jetzt spricht man davon, dass es keine Notwehr gewesen sei“, fasste ein anderer Unterstützer von Castronovo die aktuelle Situation zusammen. „Aber wenn fünf Personen zu Ihnen kommen, und dann wieder gehen, einfach so? Das Ziel des Tankwarts war es – und das sollte man ihm schon glauben – die Diebe aufzuhalten, damit die Polizei sie festnehmen konnte.“
Tatsächlich vertritt Castronovo seit Anfang an genau diesen Standpunkt. Er habe nicht töten wollen, nicht bewusst auf die Täter mit seiner Waffe gezielt.
Ein Standpunkt, den er weiterhin vertritt, wie sein Anwalt Pascal Rodeyns zu Protokoll gibt. Er sagt: „Mein Klient stand den Eindringlingen im Verkaufsraum der Tankstelle gegenüber. Da hat er nicht geschossen. Er hat erst draußen geschossen, und da auf die Reifen des Autos, um es fahruntüchtig zu machen, damit die Diebe festgenommen werden können.“
Wie die Schüsse dann dennoch den 19-jährigen Mohammed so schwer verletzen konnten, dass er an dem hohen Blutverlust starb, das bleibt noch zu klären. Die Staatsanwaltschaft hat schnell die Ermittlungen aufgenommen. Und eben auch deshalb die vorläufige Festnahme von Castronovo durchgedrückt. Denn zumindest auf den ersten Blick sehe es absolut nicht danach aus, als ob eine Notwehrhandlung vorliege, sagte Cathérine Collignon, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Lüttich. „Auf jeden Fall nicht nach den ersten Erkenntnissen, die wir sammeln konnten.“
Was darf jemand tun, der Einbrecher bei sich auf frischer Tat ertappt? Muss er tatenlos zusehen, wie die Einbrecher fliehen können? Was, wenn Castronovo tatsächlich nur auf die Reifen des Fluchtautos schießen wollte? Kann man dann noch von Mord sprechen? Fragen, die es zu klären gilt. Die Unterstützer von Castronovo haben ihre Antwort schon gefunden. Jetzt ist die Justiz am Zug.
Überfall in Comblain-au-Pont: Alle Täter festgenommen
Nach dem Überfall auf eine Tankstelle in Comblain-au-Pont sind alle bisher flüchtigen Täter gefasst worden. Die letzten beiden konnten inzwischen festgenommen werden.
Insgesamt fünf Täter hatten letzten Donnerstag am frühen Morgen eine Tankstelle überfallen. Sie wurden vom Tankstellenbetreiber überrascht und flohen in einem Auto. Der Betreiber gab Schüsse auf das Fluchtfahrzeug ab. Dabei wurde einer der Täter, ein 19-Jähriger, tödlich getroffen.
Gegen den Tankstellenbetreiber wurde Anklage wegen Mordes erhoben. Er sitzt in Untersuchungshaft. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft lag keine Notwehr vor. (rtbf/est)
Kay Wagner