Wer ist schuld an dem Stromdebakel? "Wir jedenfalls nicht", das ist die meistgehörte Antwort in diesem Zusammenhang. Besonders laut hatte das am Dienstag die föderale Energieministerin Marie-Christine Marghem gesagt. In der RTBF hatte sie ziemlich nachdrücklich mit dem Finger auf Electrabel gezeigt. Electrabel habe nicht vollständig kommuniziert, so der Vorwurf der Ministerin. Der Atomkraftwerksbetreiber hätte viel früher darauf hinweisen müssen, dass die Meiler möglicherweise zu Beginn des Winters nicht zur Verfügung stehen.
"Stimmt nicht!", reagierte inzwischen Engie-Electrabel. "Wir waren in dieser Angelegenheit immer transparent", sagte Sprecherin Hellen Smeets in der VRT. Wir erinnern uns: Vor einem Jahr sei am Reaktorblock Doel 3 ein Problem am Beton eines Bunkers festgestellt worden. Und schon damals habe man gesagt, dass man jetzt überprüfen werde, ob sich vergleichbare Probleme nicht auch in den anderen Blöcken stellen.
Und, wie man heute weiß, gab es dieselben Probleme auch in den anderen Reaktorblöcken. Betroffen sind Bunkeranlagen, in denen wichtiges Rettungsmaterial gelagert wird - für den Notfall. An diesen Gebäuden ist der Beton brüchig geworden. Schuld ist anscheinend ein Konstruktionsfehler, der dafür sorgt, dass das Material verstärkt Wasserdampf ausgesetzt ist.
Fakt ist jedenfalls: Sicherheitsnormen sind Sicherheitsnormen. Und dementsprechend müssen die Gebäude eben repariert und die jeweilige Reaktorblöcke stillgelegt werden.
Electrabel das erste Opfer
Will man uns jetzt also vorwerfen, dass wir die Sicherheitsnormen einhalten, hört man sinngemäß bei Electrabel. Und Professor Damien Ernst, Energieexperte von der Uni Lüttich, kann diese Argumentation nachvollziehen. Objektiv betrachtet müsse man Electrabel sogar noch loben für seine vorbildliche Reaktion. Erst habe man ein Problem festgestellt, weil es sichtbar war. Daraufhin habe man alle anderen Anlagen aber auch überprüft, um zu schauen, ob sich dort nicht dasselbe Problem stellt, das man eben noch nicht sehen konnte. Man könne also behaupten, dass Electrabel die Sicherheit sehr ernst nehme.
Und noch etwas, sagt Damien Ernst. Electrabel sei eigentlich das erste Opfer der Situation. Für das Unternehmen ist der Ausfall der Reaktoren nämlich eine finanzielle Katastrophe. Jeder Block, der nicht am Netz ist, stellt einen Verlust von bis zu zwei Millionen Euro dar - pro Tag. Da könne man sich vorstellen, dass Electrabel wirklich alles tut, was in seiner Macht steht, um die Anlagen schnell wieder hochfahren zu können. Also, nein, sagt Ernst: Electrabel kann man hier wirklich nichts vorwerfen.
Import
Die Situation ist also, wie sie ist. Und die klingt schon, sagen wir, "heikel": Im November, also zu Beginn des meteorologischen Winters, muss das Land auf sechs seiner sieben Atomkraftwerke verzichten. Also: Statt der rund 6.000 Megawatt stehen dann nur rund 1.000 zur Verfügung. Reicht das? Droht diesmal nicht tatsächlich der Blackout.
Professor Damien Ernst hat also mal den Taschenrechner rausgekramt und alle noch verbleibenden Kapazitäten addiert. Resultat: Produziert werden können in Belgien dann noch rund 7.500 Megawatt. Dann zählen wir noch das Pumpkraftwerk von Coo hinzu, das während fünf Stunden 1.000 Megawatt beisteuern kann. Macht 8.500. Wir brauchen aber 12.500 Megawatt.
Heißt, nach Adam Riese: 4.000 Megawatt müssen zu Stoßzeiten importiert werden. Die entsprechenden Leitungen gibt es. Marie-Christine Marghem hat sich auch schon an die Nachbarländer gewandt, um entsprechende Hilfe zu erbitten. Schön und gut, sagt Damien Ernst: Aber dann darf es wohl in keinem dieser Länder eine Kältewelle geben, sonst brauchen sie den Strom selbst. Und dann haben wir den Salat.
Abschaltplan
Heißt: Dann muss der Strom rationiert werden. 2014 hatte man schonmal einen Abschaltplan ausgearbeitet, der also das Land in acht Zonen aufgeteilt hat. Die kämen dann nacheinander an die Reihe. Konkret würde dort dann zwischen 17 und 20 Uhr der Strom abgeschaltet. Natürlich wären wichtige Einrichtungen wie Krankenhäuser ausgenommen.
Dieser Plan wurde jetzt wieder rausgekramt und bei der Gelegenheit auch nochmal neu austariert. "Der Plan ist gut gemacht", sagt Ernst. Praktikabel und ausgewogen. Naja, böse Zungen würden sagen: "Wenn man in diesem Land schon keinen Strom produzieren kann, dann muss man ihn wenigstens abschalten können".
Roger Pint
So sieht Energiepolitik aus, die sich auf marode Atommeiler stützt.
Belgien hat es verschlafen, auf regelbare Gaskraftwerke als Brückentechnologie im Verbund mit regenerativen Energien und einer ernst gemeinten Energiewende zu setzen.
Frage: Wer trägt die Verantwortung für eine gesicherte Energieversorgung in diesem Land? Bitte zurücktreten.
Wir wollen uns jetzt schon bedanken bei unseren Nachbarnationen DE und NL, die sich sofort bereit erklärt haben, alles menschenmögliche zu tun, damit hier nicht die Lichter ausgehen.
Seien wir froh, dass NL mit dem neuen Kohlekraftwerk Eemshavn und DE mit den braunkohlebetriebenen Kraftstationen von RWE und in der alten DDR noch genug Reserve am Start haben. Ich hoffe dass das ein Wink mit dem Zaunpfahl für die Politiker und Konzernbosse in DE ist, den nationalen Alleingang des Kohleausstiegs aufzugeben.
Herr Drescher,
der Ausstieg aus der Kohle in Deutschland muss und wird auch kommen. Hier hat die Politik genauso herumgeeiert wie in Belgien, obwohl man seit Jahrzehnten weiß, wo die Reise hingeht. Da ist es doch mehr als fragwürdig, wenn der Atomausstieg zum faktischen Wiedereinstieg in die Kohle wird.
Herr Kerres,
wenn hier der Strom ausfällt weil DE im nationalen Alleingang wegen der gewalttätigen Erpresser alle Kraftstationen abgerissen hat werde ich Sie und alle Kohlehasser in BE und DE an das von Ihnen gesagte nochmal erinnern.
Warum regen Sie sich nicht darüber auf, dass Polen sogar zahlreiche neue Riesen-Kohlekraftwerke direkt an der Deutschen Grenze baut, also noch viel mehr Strom aus Kohle produzieren wird als bisher schon? Polen produziert bereits jetzt schon 90 Prozent des gesamten Stroms ausschließlich aus ungefilterten Kohlekraftwerken.
Warum dürfen die Polen, Griechenland und Tschechien das einfach so machen und warum gehen diese selbsternannten "Aktivisten" nicht mal ausnahmsweise zu den wirklichen Luftverschmutzern z.B. nach Polen? Wo bleibt der Aufschrei gegen den osteuropäischen Billigst-LKW-Verkehr? Oder wird hier schon wieder ein abscheulicher Kreuzzug gegen ein bestimmtes Volk / Kohlearbeiter in Europa geführt was Haupt-Nettoeinzahler dieser EU ist?
Wir als DG sollten nicht schweigen wenn Unrecht und Verbrechen gegen unsere Nachbarnationen getrieben werden.
"DE im nationalen Alleingang wegen der gewalttätigen Erpresser alle Kraftstationen abgerissen hat..."
Da geht sie wieder dahin, die Sachlichkeit (gähn).
Der Rest ist reiner Whataboutism.
Das sollten Sie eigentlich besser können, Herr Drescher.
Wenn die Kernkraft in Belgien versagt, sollten wir Gasturbinen laufen lassen oder ein Meerwassergekühltes Kohlekraftwerk bauen, betrieben mit Importkohle. sowas haben die Holländer bereits, und funktioniert sehr zuverlässig.