Ein bisschen paradox ist es schon. Es hat Zeiten gegeben, da wurde von Sittenwächtern überprüft, ob die Frauen etwa am Strand nicht zu wenig Stoff am Körper hatten. Und jetzt ist zu viel Stoff ein Problem...
Der Burkini hat in den letzten Jahren häufiger mal für Polemik gesorgt, etwa als die Stadtväter des südfranzösischen Seebads Cannes vor zwei Jahren ein Burkini-Verbot ausgesprochen hatten. Da ging es im weitesten Sinne noch um Erregung öffentlichen Ärgernisses.
Doch inzwischen verbieten auch einige Hallenbäder den Ganzkörper-Badeanzug. In den Bädern von Gent und im nahegelegenen Merelbeeke etwa steht ausdrücklich in der Hausordnung, dass Frauen keinen Burkini tragen dürfen. Als Grund wird angeführt, dass das Kleidungsstück unhygienisch sei, schlicht und einfach, weil es aus zu viel Stoff besteht. Außerdem werden nicht näher ausgeführte "Sicherheitsbedenken" geltend gemacht.
Diskriminierung
Einige muslimische Frauen hatten gegen das Verbot geklagt. Hier handele es sich nämlich um eine Diskriminierung, meint Eva Brems, Professorin an der Uni Gent und Expertin für Menschenrechte. Diese Frauen müssten aus religiösen Gründen einen solchen Burkini tragen. Das Verbot sorge also dafür, dass sie nicht mehr im Hallenbad schwimmen gehen könnten.
Eva Brems hat die Klägerinnen bei der Formulierung ihrer Argumentation unterstützt. Für sie ist die von den Bädern angeführte Begründung für das Verbot fadenscheinig. Es gebe ein Gutachten des flämischen Gesundheitsministeriums, in dem es ganz klar heiße, dass ein Burkini - nur, weil mehr Stoff verarbeitet wurde - nicht unhygienischer sei als andere Schwimmkleidung - eben, weil es Schwimmkleidung ist. Das Material sei im Wesentlichen das gleiche.
"Aber warum sind dann Bermuda-Badeshorts für Männer verboten?", hört man da häufig als Gegenargument. Nun, so sagt Professor Eva Brems: Jungs tragen diese Hosen oft auch außerhalb des Schwimmbads, entsprechend schmutzig werden sie dann. Das größte Problem seien aber die Taschen, in denen Sand, Papierschnipsel oder dergleichen drin sein könnten. Und all das landet dann im Wasser.
Also: Kein Vergleich! Das Genter Erstinstanzgericht jedenfalls hat das Burkini-Verbot in den beiden Hallenbädern von Gent und Merelbeke gekippt. Begründung: Die von den Bädern angeführten Argumente hinsichtlich Hygiene bzw. Sicherheit seien nicht zu rechtfertigen.
Urteil möglicherweise richtungsweisend
Und das Urteil ist womöglich sogar richtungsweisend. Zwar gehe es hier zunächst nur um die zwei Bäder, die verklagt worden sind, sagt Patrick Charlier von Unia, dem Zentrum für Chancengleichheit und für Rassismusbekämpfung. Das Urteil könne aber zum Präzedenzfall werden, was dazu führen würde, dass Burkini-Verbote überall im Land hinfällig wären.
Das Urteil kommt zu einem politisch heiklen Zeitpunkt. In drei Monaten stehen bekanntlich Kommunalwahlen an. Und in Flandern hat insbesondere die N-VA einen sehr "identitären" Wahlkampf geführt. Es drehte oft um Themen wie der Umgang mit Flüchtlingen oder die Haltung zum Islam.
Twittergewitter
Kaum hatte die Zeitung De Standaard die Geschichte veröffentlicht, da gab's jedenfalls schon ein Twittergewitter. Die Sozialen Netzwerke liefen heiß. Wohl auch unter dem Eindruck der hitzigen Diskussionen kam es zu Spannungen innerhalb der Genter Stadtratsmehrheit aus SP.A, OpenVLD und Groen. Nach langem Gezerre einigte sich die Koalition darauf, Berufung gegen das Urteil einzulegen.
Und auch die föderale Staatssekretärin für Chancengleichheit, die N-VA-Politikerin Zuhal Demir, meldete sich zu Wort. "Wir sind hier mal wieder im Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und Frauenrechten", sagte Demir. Nun, im Zweifel entscheide sie sich immer für die Frauenrechte.
Der Burkini sei für sie jedenfalls ein Symbol für die Ungleichheit der Frau, sagte Demir. Und notfalls werde sie prüfen lassen, ob der Burkini nicht per Gesetz verboten werden könne.
Roger Pint