Bröckelreaktoren - diesen Stempel bekommen die belgischen Atomkraftwerke schonmal häufiger verpasst. Nicht ganz ohne Grund allerdings, wie sich in letzter Zeit immer wieder mal gezeigt hat. Im Fokus ist diesmal der Reaktorblock Tihange 3. Nur beginnt diese bröselige Geschichte eigentlich in Doel, also dem anderen belgischen AKW-Standort.
Im vergangenen Herbst wurde der Meiler Doel 3 vom Netz genommen. Eigentlich für eine Routine-Wartung. In einem Gebäude muss den Inspekteuren aber buchstäblich der Beton auf den Kopf gebröckelt sein. Wörtlich hieß es jedenfalls: "Eine Überprüfung habe ergeben, dass Betonarbeiten an einem Gebäude im nicht-nuklearen Bereich nötig seien". Und dieses Sorgenkind ist ausgerechnet der "Bunker" der Anlage.
Bunker, das Wort kommt nicht von ungefähr: Hier sind die Notfallsysteme untergebracht, die also in allen erdenklichen Extremsituationen zugänglich sein müssen. Klar, dass dieser Bunker also dafür auch erstmal eben solchen Extremsituationen standhalten muss. Die Arbeiten am Bunker von Doel 3 waren anscheinend sehr aufwendig. Fakt ist jedenfalls, dass der Reaktor immer noch nicht wieder am Netz ist.
Stellte sich aber auch die Frage, ob der Bunker von Doel 3 der einzige ist mit porösem Beton. Im Visier war da erstmal der Reaktor Tihange 3. Im April war ohnehin eine Wartung vorgesehen. Bei der Gelegenheit haben Ingenieure von Betreiber Engie Electrabel also auch den Beton in den verschiedenen Gebäuden von Tihange 3 untersucht.
Anomalien
Erster Befund: Das Problem, das im Bunker von Doel 3 zu den Korrosionsschäden am Beton geführt hat, stellt sich in Tihange 3 zwar auch, aber in geringerem Maße. Und weil man jetzt eben noch rechtzeitig die Lage überprüft habe, konnte man Schlimmeres verhindern. Die dennoch erforderlichen Reparaturen sind schon angelaufen.
Nur gab es, wie die Zeitung Le Soir berichtet, bei dieser Untersuchung des Bunkers noch einen zweiten Befund, einen völlig unerwarteten allerdings. Bei der Suche nach Schäden am Beton sei man, wie es hieß, "auf Anomalien in Bezug auf die Stahlbetonarmierungen gestoßen". Und diese Anomalien seien schon da "seit dem Bau der Anlage".
Konkret: Es gibt einen Konstruktionsfehler. In dem Sinne, dass sich besagte Armierungen nicht da befinden, wo sie laut Plan sein müssten. Hier handelt es sich also um Stahlbetonstrukturen, die dem Gebäude zusätzliche Stabilität geben sollen. Frage ist also: Beeinflusst die Tatsache, dass diese Armierungen falsch platziert wurden, die Statik des Gebäudes? Da es sich eben auch hier wieder um den Bunker handelt, ist diese Frage von tragender Bedeutung - im wahrsten Sinne des Wortes. Sprich: Verdient dieser Bunker noch den Namen "Bunker"?
Reaktorblock stillgelegt
Für die Föderale Atomaufsichtsbehörde Fank ist allein die Frage zu stellen schon Grund genug, den Reaktorblock bis auf Weiteres stillzulegen. "Die Anlage dürfe erst wieder hochgefahren werden, wenn Betreiber Engie Electrabel den Beweis erbringen kann, dass die Stabilität des Bunkers zu jeder Zeit garantiert werden kann", zitiert Le Soir einen Sprecher der Fank.
Die Ingenieure und Statiker stellen also im Moment fleißig ihrer Berechnungen an. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es aber noch unmöglich, die Tragweite des Problems einzuschätzen, schreibt Le Soir. Engie Electrabel hat jedenfalls bekanntgegeben, dass die Dauer der Stilllegung von Tihange 3 bis September verlängert werde. Wobei das wohl heißen soll, dass das der theoretisch frühestmögliche Termin ist.
Im Reaktorblock Doel 3 hat man sich übrigens am Ende dazu entschlossen, das Dach des Bunkers komplett zu erneuern. Diese Arbeiten sind inzwischen abgeschlossen.
"Atomausstieg durch Chaos"
Nur: Ist das wirklich das Ende der Fahnenstange? Die Situation in den Blöcken Doel 4 und Tihange 2 ist durchaus vergleichbar mit der in den beiden bislang begutachteten Anlagen. Bei den nächsten Routineinspektionen soll auch hier der Beton auf Korrosionsschäden abgeklopft werden. Engie Electrabel habe die entsprechenden Wartungs-Termine im Übrigen vorverlegt.
Die Grünen sehen sich derweil in ihrer Kritik nur bestätigt. Die Situation sei mehr denn je inakzeptabel, reagierte der Ecolo-Parlamentarier Jean-Marc Nollet in einem Kommuniqué. "Wobei", fügt er hinzu, "im Moment sind vier der sieben Reaktorblöcke nicht am Netz. Was wir hier sehen, dass ist also ein 'kleiner' Atomausstieg, allerdings nicht herbeigeführt durch das Gesetz, sondern durch das Chaos."
Roger Pint
Armaturen sind Wasserhähne, Meßgeräte und ähnliches, hier sind aber Armierungen gemeint. Mit Armierung bezeichnet man die Verstärkung des Betons mit eingelegten Stahlkonstruktionen (übrigens eine Erfindung eines Belgiers)
Ist wohl ein typischer Übersetzungsfehler, hier wurde aus dem französischen "l'armature [BAU.] = dt. Armierung" die deutsche "Armatur" 🙂
Besten Dank für Ihre Hinweise! Der Fehler wurde korrigiert.
LG, BRF-Webredaktion