Die RTBF verbreitete diese Meldung exklusiv Dienstagabend: Zwei oder drei der verletzten Polizisten in Lüttich sind wohl Opfer von Schüssen aus den eigenen Reihen geworden. Eine genaue Quelle nennt die RTBF nicht. "Aus Polizeikreisen" kämen die Informationen, heißt es lediglich. Doch das, was die RTBF gestern präsentierte, hört sich ziemlich plausibel an.
Dafür muss man sich das Szenario noch einmal vor Augen führen. Lüttich, 29. Mai, Benjamin Herman hat drei Menschen getötet und ist hinter der Eingangstür der Schule Léonie de Waha verschwunden. Draußen bringen sich Polizisten in Stellung. Links von der Eingangstür eine Spezialeinheit der Lütticher Polizei, rechts Polizisten einer anderen Einheit. Auch gegenüber des Eingangs haben sich Polizisten hinter Autos verschanzt.
Die Einheiten links und rechts des Schuleingangs nähern sich der Eingangstür, als diese plötzlich aufgeht und Benjamin Herman erscheint. Er eröffnet das Feuer auf die Mitglieder der Spezialeinheit. Schnell geht Herman zu Boden, tödlich getroffen.
Getroffen werden aber auch zwei Sicherheitskräfte, die in der Schusslinie der Spezialeinheit stehen – über 120 Meter vom Tatort entfernt. Diese beiden Polizisten waren dabei, die Straße abzusperren. Herman hatte gar nicht in ihre Richtung geschossen. Sie können daher quasi nur von Kugeln der Spezialeinheit getroffen worden sein. Kugeln, die an Herman vorbeiflogen und erst in 120 Metern Menschen trafen.
Auch die Verletzung eines der beiden Polizisten der Spezialeinheit, auf die Herman schoss, könnte durch einen missglückten Schuss eines Kollegen erfolgt sein. Die Kugel könnte aus der Waffe eines Polizisten gekommen sein, der sich vor dem Schuleingang hinter einem Auto verschanzt und nicht genau gezielt hatte.
Dass Fehlschüsse von Polizisten durchaus vorkommen, gibt Vincent Gilles offen zu. Er ist Präsident der Polizeigewerkschaft SLFP und nennt auch einen Grund, warum es immer mal zu Fehlschüssen von Polizisten im Dienst kommt. "Es ist eine Tatsache, dass die Polizisten nicht oft genug im Schießstand trainieren. Es mangelt einfach an Trainingszeit."
Vier Mal im Jahr für jeweils vier Stunden sollen Polizisten das Schießen üben. Oft würde diese Zeit des Trainings aber auch für andere Sachen wie taktisches Training genutzt, so dass für das reine Schießen nicht immer die vorgeschriebene Zeit genutzt werden könne.
Außerdem beklagt Gilles, dass ein gemeinsames Training der unterschiedlichen Polizeieinheiten nicht oder zu selten stattfindet. "Seitens der Polizeigewerkschaft fordern wir seit langem ein regionales Ausbildungszentrum. Dort sollten alle bewaffneten Polizisten eine Ausbildung absolvieren. Nicht nur mit Polizisten der eigenen Diensteinheit, sondern auch mit Kollegen aus anderen Abteilungen. Dadurch würde man sich besser kennenlernen und wissen, wie man funktioniert."
Was bei der Schießerei in Lüttich hätte besser gemacht werden können und ob drei der vier verletzten Polizisten tatsächlich von Polizeikugeln versehentlich getroffen wurden, diese Fragen bleiben zunächst offen. Denn offiziell bestätigt sind die RTBF-Informationen bislang nicht. Erst in ein paar Tagen sollen offizielle Ergebnisse von Untersuchungen der Schießerei bekannt gegeben werden.
Kay Wagner