Eine dramatische Situation: Ein Auto steht an einem Bahnübergang auf den Gleisen. Ein Zug rast heran. Der Aufprall ist unvermeidlich - und gewaltig. Der Wagen wird buchstäblich wegkatapultiert. Die Insassen - ein junger Vater mit seinem Kind im Maxi-Cosi - hätten das Unglück wohl nicht überlebt.
"Hätten", denn in dem Wagen saßen zum Glück nur Puppen, Crashtest-Dummies. Denn genau das hatte der Schienennetzbetreiber Infrabel auf die Beine gestellt: einen Crashtest. Hier wurde unter realistischen Bedingungen nachgestellt, was passiert, wenn eine Lok mit 75 Kilometern pro Stunde auf ein stehendes Auto auffährt. Und hier ging es nicht nur um die Bilder, sagte Infrabel-Sprecher Frédéric Petit in der VRT. Der Personenwagen war mit allerlei Sensoren ausgestattet, um zum Beispiel auch nachvollziehen zu können, welche Kräfte bei so einem Aufprall wirken.
Und die Kräfte, die da wirken, sind enorm. Das weiß man jetzt nach Auswertung der Messdaten. Eine 70 Kilo schwere Person wird einer Belastung ausgesetzt, die 4.200 Kilogramm entspricht. Das ist sechs- bis siebenmal mehr, als ein F-16-Pilot in einer Extremsituation aushalten muss. Der Vater und sein Kind hätten einen solchen Aufprall wohl nicht überlebt, sagt Karin Genoe, Sprecherin des Instituts für Straßenverkehrssicherheit, Vias.
Vias hatte sich an dem Infrabel-Experiment beteiligt. Bei dem Crashtest waren ebenfalls Polizei und Feuerwehr vor Ort, die bei der Gelegenheit den Ernstfall üben konnten. "Wir alle wollen wissen, was bei einer Kollision zwischen einem Zug und einem Auto genau passiert", sagt Karin Genoe vom Institut Vias. "Denn, man muss wissen: Was Infrabel hier durchgeführt hat, ist einmalig. Nie hat ein Schienennetzbetreiber einen solchen Unfall unter Echtbedingungen nachgestellt, also auf einer Strecke, die noch für den regulären Schienenverkehr genutzt wird."
Also total realistische Bedingungen. Realistisch leider auch in dem Sinne, dass solche Unfälle häufiger vorkommen, als man vielleicht denken könnte. Allein an Bahnübergängen gab es im vergangenen Jahr 51 solcher Zwischenfälle, bei denen neun Todesopfer zu beklagen waren. Das ist im Durchschnitt fast ein Unfall pro Woche. Und noch schlimmer ist: Die Tendenz ist steigend, denn 2016 gab es weniger Unfälle mit Todesfolge.
So kann es nicht weitergehen, hat man sich also bei Infrabel gesagt. Und neben den Daten, die das Experiment geliefert hat, ging es dann doch auch um die Bilder und vor allem ihre Wirkung. "Klar wollen wir auch sensibilisieren, indem wir den Menschen nochmal vor Augen führen, wie gefährlich es ist, einen Bahnübergang zu überqueren unter Missachtung der Lichtsignale bzw. der Schranken", sagt Projektleiter Patrice Duvivier.
Das Auto, das bei dem Crashtest demoliert wurde, steht jetzt übrigens am Brüsseler Südbahnhof, quasi als Mahnmal. Jeder soll nochmal sehen, welch fatale Folgen ein solches Unglück haben kann, sagt Infrabel-Sprecher Frédéric Petit. Deswegen noch einmal die Botschaft: Wenn Sie an einem Bahnübergang ankommen und die Lichtzeichen stehen auf rot bzw. die Schranken sind unten: Halten Sie sich an die Verkehrsregeln, bleiben sie stehen!
Roger Pint