Ein "Kalifat" sollte es sein. "Islamischer Staat", der Name sollte Programm sein. Nicht nur eine Terrorgruppe, man verstand sich vielmehr tatsächlich als ein "Staat". In der Hochzeit dieses sogenannten "Islamischen Staates" hatten die Extremisten weite Teile Syriens und des Iraks unter ihrer Fuchtel. Und dieses selbsternannte Kalifat übte eine nicht unerhebliche Anziehungskraft aus. Jedenfalls gingen nicht mehr nur Kämpfer in das Kriegsgebiet, sondern mit ihnen viele Frauen und Kinder.
Dieses Gebilde, das man den Islamischen Staat nannte, das ist militärisch inzwischen am Ende. Die Terrorgruppe kontrolliert nur noch eine paar lose, kleine Gebiete. Viele der früheren Bewohner befinden sich in Flüchtlingslagern irgendwo im Nirgendwo.
Die VRT hatte vor einigen Wochen zwei Frauen getroffen, die in einem solchen Camp ausharren. Tatiana und Bouchra leben im Lager "Al Hol", im Nordosten Syriens. Die beiden 25-Jährigen stammen ursprünglich aus dem Antwerpener Stadtviertel Borgerhout. Beide haben jeweils drei Kinder. Und beide würden sich wünschen, dass ihre Kinder in Belgien wieder eine Zukunft hätten.
Eilverfahren
Dass beide Mütter in Belgien in Abwesenheit zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurden, eben wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, das ist ihnen dabei egal. Sie würden sogar eine Haft in Kauf nehmen, sagten sie seinerzeit dem VRT-Journalisten. Hauptsache, ihren Kindern gehe es gut.
Was damals nur ein Wunsch war, ist inzwischen eine Forderung, die vor einem Gericht anhängig ist. Tatiana und Bouchra haben ein Eilverfahren angestrengt, um den belgischen Staat dazu zu zwingen, ihre Kinder wiederaufzunehmen, sagte auch Anwalt Walter Damen in der VRT. Seine Mandantinnen denken da nur an das Wohl ihrer Kinder. Die Kinder könnten schließlich nichts für die Entscheidungen ihrer Eltern.
Belgien soll demnach also auch die entsprechenden Prozeduren anstoßen, um die Kinder nach Belgien auszufliegen. Das Problem sei nämlich, dass sich diese Flüchtlingslagen in einem juristischen Niemandsland befinden, sagt der Anwalt. Es gibt dort keine Botschaft oder kein Konsulat. Das belgische Außenministerium müsse also quasi "aktiv werden".
Unterstützung von Child Focus
Die Problematik der Syrienrückkehrer ist bekanntermaßen heikel. Nur gehe es hier ja ausschließlich um die Kinder, betont der Anwalt. Und genau deswegen hat sich auf die Kinderschutzorganisation Child Focus der Klage angeschlossen. Die Kinder können nichts für die Entscheidung ihrer Eltern, sagt Child-Focus-Chefin Heidi De Pauw. Es sind junge Kinder, die in Gefahr sind, und da könne eine Organisation wie Child Focus eben nicht tatenlos zusehen.
Der Punkt ist nämlich: Diese Kinder leben wirklich gefährlich. Erstmal sind die hygienischen Bedingungen in den Camps katastrophal. Und dann komme es häufig vor, dass die Kurden, die das Lager kontrollieren, Frauen und Kinder gegen ihre gefangenen Kämpfer austauschen. Und dann verschwinden sie quasi von der Bildfläche.
Hier geht es in aller Regel um kleine Kinder unter zwölf Jahren, betont auch Bernard Devos, Generalbeauftragter für Kinderrechte. Aber selbst, wenn sie älter sind und sie sich vielleicht etwas haben zuschulden kommen lassen, selbst dann müsse man sie heimholen: Dann fallen sie eben unter das belgische Jugendstrafrecht und können gegebenenfalls verurteilt werden.
Insgesamt geht es hier anscheinend immerhin um 150 Kinder, die sich in Lagern in Syrien und im Irak befinden sollen. "Wenn Belgien sich nicht aktiv um deren Rückkehr bemühe", so heißt es bei Child Focus, dann würden viele von ihnen wahrscheinlich nicht überleben.
Roger Pint