Wie jede Kolonialmacht in Afrika tut sich auch Belgien heute noch schwer, unbefangen und offen mit der eigenen Kolonialgeschichte umzugehen. Schnell wird es heikel, wenn über die Grausamkeiten eines Leopold II. offen gesprochen wird, oder die belgische Mitschuld an der Ermordung des ersten Premierministers des unabhängig gewordenen Kongos, Patrice Lumumba.
Die koloniale Vergangenheit also ein Tabu in der belgischen Gesellschaft? Die Teilnehmer der Gesprächsrunde bei der RTBF wollten das so nicht sehen. Der Historiker Pierre-Luc Plasman gab an, dass das zwar lange der Fall gewesen sei. Doch seitdem 2009 die ersten Doktorarbeiten in Gent über die belgische Kolonialgeschichte veröffentlicht wurden, gebe es regelmäßig Veröffentlichungen und Studien über diese Zeit, die durchaus kritisch seien. "Ich finde, dass die koloniale Vergangenheit kein Tabu mehr ist", sagte Plasman.
Mireille-Theusi Robert vom Verein Bamko, der sich unter anderem für die Rechte der Nachkommen von Menschen afrikanischer Herkunft einsetzt, sieht die Frage nach einem Tabu sogar kritisch. Sie sagt: "Wenn man sich für das Thema Kolonialzeit als ein Tabu interessiert, interessiert man sich für den Gemütszustand der Weißen. Und nicht so sehr um das, was die Schwarzen vorschlagen." Die Frage nach dem Tabu also wieder einmal eine typisch weiße Sicht auf diese Zeit, sodass die Anliegen der Schwarzen wie in der Kolonialzeit keine Rolle mehr spielen? Für Mireille-Theusi Robert ist das so. Sie wünscht sich vielmehr ein Interesse für die Gegenwart und wie heute mit dem kolonialen Erbe umgegangen wird. Sie sagt: "Wir fordern nicht, dass die Leute reumütig im Büßergewand rumlaufen. Nein. Das, was wir fordern, ist, Verantwortung zu übernehmen."
Verantwortung übernehmen, das heißt für Mireille-Theusi Robert, konkrete Aktionen. Ein konkreter Umgang mit der kolonialen Vergangenheit. Was sie damit meint, erklärt sie am Beispiel des Museums in Tervuren: Sie sagt: "Bei dem allen geht es um Geld. Die Ausstellungsstücke des Museums sind auch ein wirtschaftlicher Faktor. Wenn die in Afrika wären, würden sie dort Touristen anlocken. Aber da sie hier sind, stellt sich die Frage: Was macht das Museum? Beteiligt es die afrikanischen Länder an den Einnahmen, die es durch die Besucher erhält?"
Solche Fragen zu klären geht nur, wenn man offen darüber spricht. Die Bereitschaft dazu sei noch nicht überall vorhanden. Das findet Kalvin Soiresse Njall, Mitglied des Collectif Mémoire Coloniale et Lutte contre les Discriminations, der Gesellschaft für koloniale Erinnerung und Kampf gegen Diskriminierung. Er sagt: "Es gibt bei bestimmten Personen den Willen, über die Fragen der kolonialen Vergangenheit nicht zu sprechen. Denn das könnte sowohl auf politischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene schädlich sein. Das würde negativen Einfluss haben auf das Bild von Belgien in der Welt. Einen negativen Einfluss auf die Wirtschaftsvertreter im Kongo."
Für den Journalisten Cédric Vallet, der sich intensiv mit dem Afrika-Museum in den vergangenen Jahren beschäftigt hat, ist die Neueröffnung eine Chance, die kritische Debatte, die seit längerem schon in der Wissenschaftswelt geführt wird, in die breite Gesellschaft zu tragen. Das Tabu zu brechen, falls es noch existieren sollte. Die Debatte über die koloniale Vergangenheit wird aber auch im Museum selbst geführt. Vallet berichtet, dass es dort zwei große Lager gibt: Die Museumsmitarbeiter und die Wissenschaftler. Vallet berichtet: "Seitens des Museums ist es den Mitarbeitern wichtig, eine Botschaft zu vermitteln. Besonders eine Botschaft, die kritisch auf die koloniale Vergangenheit schaut. Seitens der Wissenschaftler hat man Angst davor, dass diese kritische Sicht moralisierend wirkt, zu schuldbelastet wird, und damit den rein wissenschaftlichen Rahmen verlässt."
Die Debatte um die koloniale Vergangenheit Belgiens in Afrika ist damit wohl auf lange Sicht noch nicht zu Ende. Sie fängt vielleicht gerade erst richtig an.
Kay Wagner