"All diese Punkte sind in unseren Augen zumindest fragwürdig". Für Anwalt Olivier Stein gibt es im Moment mehr Fragen als Antworten. Er vertritt die Eltern der kleinen Mawda. Die Zweijährige wurde am Donnerstagmorgen getötet. Unter welchen Umständen genau, nun, da gehen die Darstellungen doch weit auseinander.
Fakt ist: Es gab eine Verfolgungsjagd. Der Polizei war auf der E42-Autobahn in der Nähe von Namur ein verdächtiger Kleinbus aufgefallen. Die Beamten blieben dran. Nur machte der Fahrer keine Anstalten, zu stoppen. Die Fahrzeuge donnern also durch die Nacht, mit vollem Tempo Richtung Mons. Die Polizisten rufen Verstärkung.
Und ab hier gehen schon die Versionen auseinander. Ursprünglich war von einer Straßensperre die Rede. Der Fahrer des Kleinbusses sei mit Vollgas darauf zugefahren, woraufhin die Beamten das Feuer eröffnet hätten. Sie hätten dabei auf die Reifen gezielt.
Unterschiedliche Versionen
Die Eltern der kleinen Mawda schilderten das am Montag ganz anders. Aus dem Mund der Übersetzerin klang das so: Irgendwann kamen die Polizeifahrzeuge wieder näher, bis sie genau so schnell waren, wie der Lieferwagen. Auf der linken Seite richtet ein Polizist auf dem Beifahrersitz seine Waffe auf den Fahrer des Kleinbusses. Dann fällt ein Schuss - ein einziger. Also: Keine Straßensperre, sondern ein Schuss bei vollem Tempo, während der Verfolgung. Ein Schuss, der offensichtlich sein Ziel verfehlt. Direkt danach habe die Mutter, die das Kind auf dem Schoß hatte, nur noch Blut gesehen und gefühlt.
Hier stimmen die Versionen also schonmal absolut nicht überein. Und noch etwas, sagt Anwalt Olivier Stein: Auch die Pressemeldungen, wonach ein Kind aus dem Fenster gehalten wurde, entsprechen wohl nicht der Wahrheit. Ein Kind sei vor dem Heckfenster sichtbar hochgehalten worden, um den Polizisten zu zeigen, dass Kinder an Bord sind. Es habe aber niemals aus dem Fenster "gebaumelt", wie man zuweilen lesen konnte.
Fassen wir also zusammen, bilanzierte der Anwalt nach einem Treffen mit der zuständigen Untersuchungsrichterin: Eine Straßensperre hat es nie gegeben und es ist auch nur ein einziger Schuss gefallen, aus einer Polizeipistole. In dem Kleinbus sei demgegenüber keine Waffe gefunden worden. Diese Version seiner Mandanten habe sich inzwischen in weiten Teilen bestätigt.
"Wie solle man denn da noch den Behörden glauben?", sagt Anwalt Olivier Stein. Hinzu kommt noch, erstens: Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich erklärt, dass die kleine Mawda nicht an einer Schussverletzung gestorben sei, bis man das kleinlaut korrigieren musste. Und zweitens: Das Comité P, also das Kontrollorgan der Polizei, hatte ja schon seine Ermittlungen eingestellt, bis die zuständige Untersuchungsrichterin angeordnet hat, die Untersuchung doch wiederaufzunehmen. "Warum, so fragen wir uns, hat das Comité P den Fall zu den Akten gelegt, wenn es doch ausreichend gute Gründe gegeben habe, zu ermitteln?"
Politikum
Wegen all dieser widersprüchlichen bzw. falschen Darstellungen bleibe er denn auch bei seiner Forderung, dass - parallel zu den gerichtlichen Ermittlungen - auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss Licht in die Sache bringen müsse.
Offene Fragen gibt es also offensichtlich zuhauf. Und das macht aus der Geschichte auch längst ein Politikum. Premierminister Charles Michel hatte bereits sein Bedauern über den Tod der kleinen Mawda zum Ausdruck gebracht. Am Dienstagnachmittag sollte er aber auch im Innenausschuss der Kammer zu dem Vorfall Stellung nehmen. Es wird aber erwartet, dass er auf die laufenden Ermittlungen verweisen und erstmal nichts sagen wird.
Der Todesschütze ist übrigens nach Angaben der Staatsanwaltschaft identifiziert. Der Polizeibeamte habe das nie gewollt, hieß es, er sei am Boden zerstört.
Roger Pint