Für Frédéric Bariseau, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Tournai, muss es gleich in doppeltem Sinne ein schwarzer Tag gewesen sein. Erstmal ist es bestimmt nicht leicht, den Tod eines kleinen Mädchens bekanntgeben zu müssen. Die Zweijährige sei noch im Krankenwagen ihren schweren Verletzungen erlegen.
Das war das tragische Ende einer spektakulären Verfolgungsjagd, die quasi quer durch die Wallonie geführt hatte. Gegen 2 Uhr am frühen Donnerstagmorgen war der Polizei auf einem Autobahnrastplatz in der Nähe von Namür ein Kleinbus aufgefallen, der offensichtlich hoffnungslos überfüllt war. Eine kurze Überprüfung des Kennzeichens ergab, dass der Wagen den Behörden wohl bekannt war. Die Beamten nehmen die Verfolgung auf. Die Jagd geht über 70 Kilometer, immer auf der E-42-Autobahn. Der Fahrer des Kleinbusses versucht mit allen Mitteln, die Polizei abzuschütteln. Insgesamt kommen dabei anscheinend 15 Fahrzeuge und 70 Beamte zum Einsatz.
Zeitungen berichten über spektakuläre Szenen, die sich dabei abgespielt haben sollen. Unter anderem soll irgendwann ein Kind aus der kaputten Heckscheibe des Wagens gehalten worden sein. Als "Schutzschild"?, wie einige Zeitungen mutmaßen. Oder als Warnung an die Beamten, nach dem Motto: "Wenn ihr nicht auf Abstand geht, dann passiert was Schlimmes"... Das Kind, das da aus dem Fenster baumelte, das soll die zweijährige Mawda gewesen sein.
Bei der Ausfahrt Nimy-Maisières in der Nähe von Mons errichtet die Polizei in der Zwischenzeit eine Straßensperre. Der Kleinbus hält erst an. Dann plötzlich gibt der Fahrer doch Vollgas und fährt auf die Polizisten zu. Die sehen sich dazu gezwungen, das Feuer zu eröffnen. Das bringt das Fahrzeug schließlich zum Stehen.
In dem Kleinbus befinden sich 30 Menschen, allesamt kurdische Migranten - 26 Erwachsene und vier Kinder. Eins davon ist die zweijährige Mawda. Doch ist die schwer verletzt. Sie ist es, die wenig später verstirbt.
Ihr Tod werde noch untersucht, sagte Frédéric Bariseau am Donnerstagnachmittag. Nur, eins könne man jetzt schon einmal sagen: An einer Schussverletzung sei das Mädchen nicht gestorben. Doch genau das stimmte nicht.
Keine 24 Stunden später musste Frédéric Bariseau diese doch kapitale Info korrigieren. Wohl der Albtraum eines jeden Justizsprechers. Besagte Autopsie habe ergeben, dass das Mädchen doch an einer Schussverletzung gestorben sei, sagte der Sprecher kleinlaut in der RTBF. Wie so etwas passieren kann? Nun, die Information stammte von dem Rettungsdienst, der in der Nacht im Einsatz war. Da sei von einem Schädelhirntrauma die Rede gewesen.
Nur war dieser erste Befund eben falsch. Weil der Dienst aber als vertrauenswürdig gilt, sei die Info erst einmal so raus gegangen. Aber, dafür gebe es schließlich eine Autopsie, sagt Bariseau. Und die sei dann eben zu einem anderen Befund gekommen: Die kleine Mawda starb demnach durch eine Kugel.
Nur: Von wem stammte die? Bislang hatte es geheißen, es sei nur in eine Richtung geschossen worden, sprich: allein die Polizei habe das Feuer eröffnet und nicht die mutmaßlichen Menschenhändler. Dazu werde er sich nicht äußern, sagte der Sprecher. Das müsse definitiv die Untersuchung klären.
"Ich sag' jetzt gar nichts mehr", hört man den Sprecher zwischen den Zeilen fast schon sagen.
Rückendeckung bekamen die Polizisten derweil schon von ihrem Vorgesetzten, dem Chef der Zone Mons-Quévy, Marc Garin. Seiner Ansicht nach könne man die Reaktion seiner Beamten als Notwehr bezeichnen. Eben in dem Moment, wo ein Fahrzeug mit Vollgas auf die Leute zu fährt und man zudem nicht ausschließen kann, dass die Insassen bewaffnet sind.
Das ändere natürlich nichts an der Tatsache, dass das Ganze eine riesige Tragödie ist, betonte Garin in der RTBF. Jetzt müsse man die Ergebnisse der Untersuchung abwarten.
Das Komitee P, das Kontrollorgan der Polizei, hat eine Untersuchung eingeleitet.
Innenminister Jambon sprach der Familie des Mädchens sein Mitgefühl aus, verteidigte aber auch die Arbeit der Polizisten. Die Polizei kämpfe jeden Tag gegen Menschenschmuggel.
Menschenrechtsgruppen und auch linke Oppositionsparteien sehen in der Tragödie indes eine indirekte Folge der strikt repressiven Migrationspolitik der Föderalregierung.
Roger Pint