"Was wir am Montag im Gazastreifen gesehen haben, ist inakzeptabel", sagte Außenminister Didier Reynders am Dienstagmorgen in der RTBF. "Inakzeptabel und zu verurteilen", sagt Reynders, der dann aber klarstellt, dass er beide Seiten meint. Die Hamas, die die Menschen an die Grenze geschickt hat, was vor dem Hintergrund der angespannten Lage unverantwortlich war. Und Israel, weil die Sicherheitskräfte unverhältnismäßige Gewalt angewendet hätten. Später wird er deutlicher: Israel müsse den Menschen das Recht geben, zu demonstrieren - friedlich.
"Unverhältnismäßig?". Das wollte die israelische Botschafterin eine halbe Stunde später im RTBF-Interview nicht so stehen lassen. "Was bitte heißt denn 'unverhältnismäßig?'", ärgert sich Botschafterin Simona Frankel. Muss es erst auch 50 Tote auf israelischer Seite geben, damit die Reaktion "im Verhältnis steht"?
Natürlich bedauere sie, dass es Tote gegeben hat. Selbst, wenn es sich dabei um 55 Terroristen gehandelt habe, die versucht hätten, die israelische Grenze zu übertreten. "Terroristen?", hakt der Journalist ein. Unter den Opfern seien schließlich auch Kinder gewesen, sogar ein Baby. Man könne hier doch nicht pauschal von Terroristen sprechen.
"Kritik nehmen wir in Kauf"
In gewisser Weise schon, erwidert Simona Frankel sinngemäß. "Schauen Sie: Wer bringt denn Kinder mit auf eine Kundgebung, von der man weiß, dass es gefährlich wird?" Man müsse einfach wissen, dass die Terrororganisation Hamas die Menschen im Gazastreifen als Geisel genommen habe und instrumentalisiere.
Die Hamas schickt diese Menschen wissentlich in den Tod, sagt die Botschafterin. Die Hamas trage die alleinige Schuld an dem Ganzen. Hier gehe es allein darum, Bilder zu produzieren, adressiert an die Weltöffentlichkeit. "Wir wissen, dass wir diesen Krieg der Bilder nicht gewinnen können. Wir versuchen es auch erst gar nicht. Wir wollen nur unser Territorium und unsere Bürger schützen. Die Kritik nehmen wir in Kauf. Kritik ist uns unterm Strich lieber als Beileidsbekundungen", sagt Simona Frankel.
Kritik, daran fehlt es jedenfalls nicht. Kritik aus vielen Ländern, insbesondere natürlich aus der arabischen Welt. Aber auch aus Europa. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini etwa rief beide Seiten angesichts der Eskalation der Gewalt zu "allergrößter Zurückhaltung" auf.
Michel fordert internationale Untersuchung
Auch Premierminister Charles Michel hat die Gewalt an der Grenze zwischen Israel und Gaza scharf verurteilt. In einem Interview mit dem RTL-Radio forderte Michel eine internationale Untersuchung der Zusammenstöße. Michel kritisierte erneut die Entscheidung von US-Präsident Trump, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Am Dienstagabend trifft Michel mit UN-Generalsekretär Guterres zusammen. Bei dem Gespräch will Michel auf eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle drängen.
Die Proteste sind ja vor einem doppelten Hintergrund zu sehen. Zunächst erinnern die Palästinenser in diesen Tagen an das, was sie in ihrer Sprache die "Nakba" nennen, die Katastrophe. Der 70. Geburtstag Israels ist für die Palästinenser gleichbedeutend mit dem Verlust von Teilen ihres Landes und mit der Vertreibung hunderttausender Menschen. Daneben gibt es aber auch noch bekanntlich einen ganz unmittelbaren Anlass: der Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, den US-Präsident Donald Trump einseitig verkündet hatte. Am Montag fand ja die feierliche Eröffnung statt.
Reynders ruft zum Dialog auf
Da sieht man mal, wozu solche Alleingänge führen, beklagte Außenminister Didier Reynders. Belgien war strikt gegen diese Entscheidung. Dieser einseitige Beschluss sorge nur für zusätzliche Spannungen in der ohnehin unruhigen Region. "Den Beweis haben wir gestern gesehen."
Einseitige Entscheidungen bringen uns einer Lösung keinen Schritt näher, sagt Reynders. Deswegen rufe er denn auch alle Beteiligten zum Dialog auf. Die EU habe hier bestimmt eine Rolle zu spielen, sagt Reynders. Zugegeben müsse Europa da aber erstmal mit einer Stimme sprechen, was erfahrungsgemäß leider schwierig sei.
Israel brauche keinen Vermittler, sagt derweil schroff die israelische Botschafterin. Und man verbitte sich auch jede Einmischung was Jerusalem betrifft. "Das ist unsere Hauptstadt, weil sie das schon seit 3000 Jahren ist", sagt Simona Frankel. Und sie danke Donald Trump ausdrücklich dafür, dass er diese historische Realität akzeptiere.
Reynders wirft Israel unverhältnismäßige Gewaltanwendung vor
belga/rop/est