Mit Captain Nemo unterwegs im U-Boot. Zugegeben, es sind nicht 20.000 Meilen unter dem Meer, und ein Captain Nemo ist auch nicht am Ruder. Aber spannend ist diese Geschichte irgendwie auch.
Nemo-Link ist das derzeitige Vorzeigeprojekt von Elia, dem Betreiber der belgischen Hochspannungsnetze. Seit einigen Jahren schon laufen in ganz Europa Anstrengungen, um die Strominfrastruktur besser zu vernetzen. Gerade Belgien hat da ein besonderes Interesse dran. Man erinnere sich nur an die Blackout-Psychose vor einigen Jahren, als man nicht mehr ausschließen konnte, dass in Belgien das Licht ausgeht.
Abhilfe schaffen soll also Nemo-Link, ein durchaus ehrgeiziges Projekt: ein 140 Kilometer langes Stromkabel, das England mit Belgien verbinden soll, genauer gesagt die Städte Richborough und Seebrügge - durch den Ärmelkanal also. Inzwischen ist der so gut wie durchquert. Das Projekt ist so langsam in seiner Schlussphase.
Verlegung kein Kinderspiel
Die Verlegung sei alles andere als ein Kinderspiel gewesen, bilanzierte Projektmanager Mathieu Donche in der VRT. Das Kabel wird nämlich auf dem Meeresgrund eingegraben. Das besorgt nicht Captain Nemo mit seiner Nautilus, sondern ein Tauchroboter. Nur muss man da natürlich vorsichtig sei. Auf dem Meeresgrund können ja diverse Relikte aus alten Zeiten liegen, Schiffwracks, aber im schlimmsten Fall auch Weltkriegsbomben.
"Ja, doch, in der Tat", sagt Mathieu Donche. "Insgesamt sind wir auf 1.400 'Objekte' gestoßen, die wir zum Teil quasi 'umgangen' haben, indem wir die Trasse leicht angepasst haben. Darunter waren aber tatsächlich auch Bomben. 14 davon haben wir sicherheitshalber zur Explosion bringen müssen."
Es ist nicht mal eben ein "Kabel", das die Techniker da verlegt haben, es ist ein beeindruckendes High-Tech-Produkt: 20 Zentimeter Durchmesser, bestimmt ein Dutzend verschiedene Lagen. 44 Kilogramm wiegt das Teil - je Meter. Und insgesamt sind es 140 Kilometer.
Abgerollt wird das Kabel mittels einer enormen Spule, die auf einem Schiff angebracht ist. Genau genommen sind es aber zwei Kabel, ein Plus und Minuspol. Denn, man muss wissen: Um Elektrizität über eine solche Distanz zu transportieren, ist es günstiger, das mit Gleichstrom zu machen. An beiden Enden befinden sich Stromrichter, die aus dem Gleichstrom wieder Wechselstrom machen, also das, was bei uns dann letztlich auch wieder aus der Steckdose kommt. Dieser Stromrichter steht in Brügge. Bis dahin läuft dann nochmal ein Überlandkabel, von Seebrügge aus.
Der Ärmelkanal ist jetzt jedenfalls soweit durchquert. Jetzt kann das Verbindungskabel quasi eingestöpselt werden. Unter dem Strand von Seebrügge ist nämlich schon eine entsprechende Hochspannungsstation errichtet worden, eine Transformatorkabine, die den Namen Stevin trägt. Läuft alles nach Plan, dann kann dieser sogenannte Interkonnektor nächstes Jahr in Betrieb genommen werden. Dann sind Großbritannien und Belgien also verbunden.
Permanenter Austausch
"Und das eröffnet uns neue Perspektiven", sagt Elia-Geschäftsführer Chris Peeters. Denn dann kann es einen permanenten Austausch zwischen den Stromnetzen beider Länder geben. Und das in beide Richtungen. Beide Strommärkte, Großbritannien und Belgien, können da mitunter sehr komplementär sein. Die Briten investieren viel in Offshore-Windenergie - der Überschuss könnte also nach Belgien gehen. Umgekehrt wird Belgien Gaskraftwerke bauen - das könnte wiederum für die Briten interessant sein.
Die neue Nemo-Verbindung wird eine Kapazität haben von immerhin einem Gigawatt. Das entspricht der Leistung von einem der vier großen belgischen Kernreaktoren. Die drei kleineren produzieren jeweils nur etwas mehr als halb so viel Strom.
"Wir haben bei alledem natürlich den geplanten Atomausstieg vor Augen", sagt Elia-Geschäftsführer Peeters. "Bei dieser Verbindung, und auch bei der, die wir an der anderen Seite des Landes bauen, also der Alegro-Trasse nach Deutschland. Beide sollen helfen, die Versorgungssicherheit zu garantieren."
Roger Pint