Der Aufreger für die Öffentlichkeit ist zunächst sicher das hohe Gehalt, das der Berater erhalten hat: 1.000 Euro am Tag - so viel verdient mancher Arbeitnehmer oder Freiberufler nicht einmal im Monat. Das sei viel Geld, klar, sagt dazu auch Karine Lalieux. Sie ist PS-Politikerin aus Brüssel, sitzt als Föderalabgeordnete in der Kammer, aber auch als Schöffin im Gemeinderat von Brüssel. Dort war sie von 2006 bis 2012 als Schöffin für Informatik auch Präsidentin von Gial, der VoG, die gerade für den Skandal sorgt.
Lalieux hatte also Einfluss, konnte Entscheidungen treffen. Die Entscheidung, etwas am Vertrag von Michel Leroy zu ändern, also dem Berater, der die 1.000 Euro am Tag verdiente, traf sie nicht. Zwar sagt sie: "Auch ich finde das Gehalt übertrieben." Aber sie fügt hinzu: "Nachdem ich mich erkundigt habe, bleibt festzustellen: Das ist der branchenübliche Tarif. Wenn man gute Informatik-Spezialisten haben will, und ich erinnere daran, dass er die Informatik der ganzen Stadt Brüssel entwickelt, von unserer Verwaltung, und auch vom Bürgerservice, dann muss man diesen Preis bezahlen. Ich persönlich finde, dass das zu viel ist. Aber so ist das heute in der Informatik."
Doch die Höhe des Gehalts ist nur die eine Seite des Skandals. Die andere ist, dass es bei dieser Menge Geld eigentlich eine öffentliche Ausschreibung für die Beraterstelle hätte geben müssen. Und dass die Qualität der Leistungen regelmäßig hätte überprüft werden müssen. Um eventuell eine neue öffentliche Ausschreibung zu machen, um den geeignetsten Anbieter für die Aufgabe zu finden. Michel Leroy hatte aber von vornherein einen unbefristeten Vertrag für seine Beraterdienste erhalten. Neu ausgeschrieben wurde die Stelle 18 Jahre lang nicht.
Alles Dinge, die Lalieux weiß und auch ihre Vorgänger sowie ihr Nachfolger als Präsidenten von Gial wussten und wissen. Doch keiner schien sich zum Handeln gezwungen. Um das zu rechtfertigen, verweist Lalieux auf die Audits, die sie 2008 und 2012 in Auftrag gegeben habe. Beide Male sei der juristische Beraterdienst von Gial zu der Erkenntnis gekommen: kein Problem. Man könne Michel Leroy mit dem laufenden Vertrag weiter beschäftigen. Diese Befunde sind dann doch bemerkenswert. Denn wenn richtig geprüft worden wäre, dann hätten spätestens diese Audits doch klar aufzeigen müssen: Mit dem Vertrag des Beraters stimmt etwas nicht.
Dann folgte die Sache, die heute für Aufsehen sorgt. 2016 wird Yves Vander Auwera neuer Generaldirektor von Gial. Die Zeitung "De Morgen" zitiert ihn mit den Worten: "Als ich die Akten bei Gial durchgegangen bin, habe ich gesehen, dass unser Informatik-Berater Michel Leroy auf die 65 zugeht. Da wollte ich wissen, wie es mit seinem Eintritt in die Rente aussieht. Deshalb wollte ich seinen Vertrag für 2016 sehen. Kurz nachdem ich die Anfrage gestellt hatte, wurde mir gekündigt."
Offiziell wurde Vander Auwera wegen angeblichen Betrugs vor die Tür gesetzt, auch wegen Reisen, die er auf Kosten von Gial in die USA und nach Frankreich unternommen haben soll. Vander Auwera bestreitet das. Ein entsprechendes Gerichtsverfahren läuft noch. Und das ist von Bedeutung. Denn am 5. Dezember hinterlegte Vander Auwera dort eine Chronologie der Fakten, die es bis zu seiner Entlassung bei Gial gegeben habe. Darin führt er auch auf, dass er den Vertrag des Beraters Michel Leroy angefordert, aber nie bekommen hatte.
Einige Tage nach dem 5. Dezember wurde Michel Leroy von Gial entlassen. Vander Auwera glaubt, dass das aufgrund seiner Chronologie gemacht worden war. Bei Gial und den verantwortlichen Politikern habe man gewusst, dass man die Sache mit dem dubiosen Vertrag nicht mehr verschweigen konnte, wo sie jetzt vor Gericht lag.
Karine Lalieux stellt das anders dar. Sie sagt: In 2017 habe ihr Nachfolger als Präsident und Informatik-Schöffe, Mohamed Ouriaghli, ebenfalls PS-Politiker, erneut ein Audit bei Gial in Auftrag gegeben. Und da habe man dann gesagt: Nein, so einen Vertrag, wie er mit dem Berater Michel Leroy geschlossen wurde, kann man so nicht machen. "Und sofort", so sagt Lalieux, "haben wir reagiert: Wir haben Herrn Leroy sofort gekündigt".
Das Audit ist auf den 27. Oktober datiert, die Kündigung erfolgte Mitte Dezember - nach der gerichtlich hinterlegten Chronologie des ehemaligen Generaldirektors bei Gericht. Lalieux und ihr Nachfolger Ouriaghli haben sich am Sonntag über die bewusste Politisierung der Angelegenheit in einer Stellungnahme beschwert. Tatsächlich wird in den Medien gerne hervorgehoben, dass immer nur PS-Schöffen Präsidenten von Gial waren. Und damit auch verantwortlich für den Berater-Vertrag.
Aber das sind nun mal Tatsachen. Und alles, was Lalieux und Ouriaghli bislang zu ihrer Verteidigung vorgebracht haben, reicht nicht, um wirklich Licht in diese dubiose Anstellung des Informatik-Beraters zu bringen. Ganz von der Hand zu weisen, ist eine Politisierung des Skandals von daher sicher nicht.
Ecolo und Groen prangern "eigene Regeln" der Stadt Brüssel an
Nach dem neuen Skandal um eine Brüsseler VoG fordern Ecolo und Groen ein globales Audit für die Stadt. Nach dem Samusocial steht nun Gial im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Die Stadt Brüssel arbeite offenbar nach ihren eigenen Regeln, heißt es von Ecolo und Groen. Deshalb fordern sie ein globales Audit, um alle Institutionen der Stadt unter die Lupe zu nehmen und alle "überbesetzen Mandate" zu entlarven.
Finanzminister Johan Van Overtveldt hat inzwischen angekündigt, dass die VoG gründlich überprüft werden wird. (belga/km)
Kay Wagner