"Das Kabbelkabinett macht seinem Namen wieder mal alle Ehre", stichelte schon die Zeitung Het Nieuwsblad. Mehr noch: "Es wird noch immer schlimmer!" Am Anfang stehen erstmal verstörende Zeugenaussagen. Von Belgien in den Sudan abgeschobene Migranten berichten, dass sie nach ihrer erzwungenen Rückkehr in ihre Heimat gefoltert wurden. Damit konfrontiert versprach Premier Charles Michel am Mittwochabend in der RTBF, dass diese Vorwürfe jetzt zunächst untersucht würden. Und in Erwartung der Ergebnisse würden bis Ende Januar keine weiteren Abschiebungen in den Sudan mehr durchgeführt.
Kaum hatte Michel das gesagt, da stellte sich aber schon Asylstaatssekretär Theo Francken vor eine Kamera des flämischen Privatsenders VTM. Die Aussagen des Premiers nannte Francken "absurd" - und er fügte wissend hinzu, dass bis Ende Januar ohnehin keine Abschiebungen in den Sudan geplant seien. Von einem "Moratorium", einer Aussetzung der Ausweisungen, könne also keine Rede sein, sagte Francken sinngemäß. Er hätte auch sagen können: "Dieser Premier erzählt totalen Unfug". So zumindest kann das Interview aufgenommen werden.
Die Opposition nahm das Geschenk jedenfalls dankend an und nutzte die gestrige Fragestunde in der Kammer, um Charles Michel durch die Mangel zu drehen. Der allerdings hatte da offensichtlich keine Lust drauf und gab stattdessen seinem Staatssekretär einen geballten Schuss vor den Bug. Es sei durchaus richtig, dass keine Abschiebungen mehr bis Ende Januar geplant sind. Deswegen gehe er denn auch einen Schritt weiter: Es werde keine Abschiebungen mehr geben, bis die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen.
Des Kabbelns zu viel
Alle Blicke wenden sich auf den Asylstaatssekretär, der zwar im Halbrund sitzt, sich aber nicht äußern darf. Francken wird erst weiß, dann rot, und dann verlässt er die Kammer. "Nur zur Info", wendet sich Benoit Hellings von Ecolo an den Premier, "als sie das Moratorium angekündigt haben, haben alle Mehrheitsparteien geklatscht, mit Ausnahme der N-VA." "Mal sehen, was da jetzt wieder folgt", fügt Hellings sarkastisch hinzu. Zwischen den Zeilen heißt das wohl so viel wie: "Machen Sie sich keine Sorge, der Theo wird sich sowieso nicht an ihre Vorgabe halten..."
Über den Premier hatte die Opposition aber natürlich in erster Linie auf Theo Francken eingeprügelt. Sozialisten, Grüne und CDH waren sich einig, dass man nie im Leben Sudanesen in ihre Heimat hätte zurückschicken dürfen. Das Regime in Khartum gilt als lupenreine Diktatur. Und dass Francken sogar mit den sudanesischen Behörden zusammengearbeitet hat, um die Leute zu identifizieren, das mache die Sache noch schlimmer, erst recht im Lichte der neuerlichen Berichte über Folter.
Doch gab's dafür auch ungewöhnlich scharfe Kritik aus der Mehrheit. Genau davor haben wir seinerzeit gewarnt, sagte die CD&V-Abgeordnete Nahima Lanjri in einer emotionalen Rede. Und leider haben sich diese Prophezeiungen bewahrheitet. Ihre Partei sei sich darüber im Klaren, dass illegale Migranten eben gegebenenfalls abgeschoben werden müssen. In jedem Fall müssten die Menschenrechte aber respektiert werden, fügte Lanjri hinzu.
Ungeordneter konnte das Bild also gar nicht sein. Ein Koalitionspartner, der sich von der Politik der eigenen Regierung distanziert, ein Premier, der versucht, den Laden zusammenhalten und ein Staatssekretär, der eben diesen Premier dann quasi als Quatschkopf hinstellt. Das war selbst für dieses Kabbelkabinett des Kabbelns zu viel.
Rücktrittsforderung
Entsprechend beißend die Kommentare am Freitag in den Zeitungen. Und, als Krönung, auch noch eine Rücktrittsforderung, und zwar von einem Mehrheitspolitiker, genau gesagt dem ehemaligen EU-Kommissar Karel De Gucht von der OpenVLD.
Da schien dann doch plötzlich der Baum zu brennen. Am Freitagvormittag hieß es, Francken habe sich bei Premierminister Michel entschuldigt. "Und das reiche", beschwichtigte auch der OpenVLD-Vizepremier Alexander De Croo. Jetzt sollte man die Seite umblättern.
Michel erklärte jedenfalls nach dem Ministerrat, er habe Franckens Bitte um Entschuldigung "zur Kenntnis genommen". Ob er sie auch angenommen hat, sagte er nicht.
Nachspiel
Der Vorfall hat die Stimmung der Regierungsmannschaft jedenfalls stark belastet und wird auch ein Nachspiel haben. Das Präsidium der Kammer verfügte am Freitag, Francken nächste Woche vor den Innenausschuss der Kammer zu laden. Inzwischen stellte sich nämlich heraus, dass am Mittwoch sehr wohl noch eine Rückführung nach Khartoum erfolgen sollte.
Francken annullierte diese dann, verschwieg sie aber mit der Absicht, keine falschen Signale seiner Politik zu geben. Jede Ungenauigkeit schaffe Gerüchte und diese dann einen Saugeffekt, rechtfertigte Francken seine Lüge durch Unterlassung bzw. Verschweigen.
Roger Pint