Rot, blau und grün waren am Dienstag die dominierenden Farben in der Brüsseler Innenstadt, zumindest zwischen 11 und 13 Uhr. Da zog der große Protestzug aus Gewerkschaftern und Sympathisanten vom Nordbahnhof Richtung Südbahnhof. Rot waren die Mitglieder der sozialistischen Gewerkschaft FGTB, blau die Mitglieder der liberalen Gewerkschaft CGSLB, grün die Anhänger der christlichen Gewerkschaft CSC.
Unterschiedliche Farben, aber ein und derselbe Gegner: die Regierung mit ihrer Rentenreform. Zwei konkrete Neuerungen standen beim Protest im Mittelpunkt: die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre und die geplante Einführung eines Rentensystems mit Punkten. Durch letzteres sehen die Gewerkschaften das aktuelle Rentenniveau bedroht.
Noch vor Beginn der Demonstration hatte der zuständige Pensionsminister Daniel Bacquelaine von der liberalen MR zwar bei der RTBF gesagt: "Es war nie die Rede davon, das Rentenniveau zu senken. Es war nie die Rede davon, alle bis 67 Jahre arbeiten zu lassen. Das habe ich nie gesagt. Nie."
Und der Minister erklärte: "Zehn Prozent der Menschen arbeiten heute bis 65 Jahre. Die gleichen zehn Prozent werden wahrscheinlich auch bis 67 Jahre arbeiten. Das ist das Ziel. Aber man kann weiterhin in den Vorruhestand gehen. Das, worauf es ankommt, ist, Schritt für Schritt das Ende der Berufstätigkeit zu verlängern." Aber der Minister sagte auch: "Die Kampagne der Desinformation, die heute geführt wird, hat zum Ziel, die Menschen zu betrügen."
Michel: Gewerkschaften lügen
Solche scharfen Worte trugen natürlich nicht dazu bei, die Gemüter der Demonstranten zu beruhigen. Zumal sich die ganze MR darauf eingeschossen zu haben schien, von Lügen und Desinformationen der Reformgegner zu reden.
Am Montag hatte das schon MR-Präsident Olivier Chastel getan, am Dienstag war es Premier Charles Michel höchst persönlich. "Ich stelle fest und bedauere, dass einige Gewerkschaften und Oppositionsparteien versuchen, mit Lügen Angst zu säen. Ich habe viele 'Fake News' gehört. Sicher, wir müssen in den kommenden Monaten besser kommunizieren, besser erklären, mehr Informationen geben. Auch um deutlich zu machen, dass wir es hier tatsächlich mit einer Strategie von Lügen zu tun haben", sagt er gegenüber der VRT.
Die Reaktionen auf diese scharfen Worte blieben zunächst eher gelassen. Die Demonstrationsteilnehmer blieben bei Inhaltlichem. Der Präsident der sozialistischen Gewerkschaft FGTB, Rudy De Leeuw, sagte: "Michel hat keine Ahnung, mit welch niedrigen Renten die Menschen zurechtkommen müssen." Und De Leeuw fügte hinzu: "Wir müssen heute schon länger und härter arbeiten, um weniger Geld zu verdienen - erinnern Sie sich an den Index-Sprung. Und dann sollen wir noch keine richtige Rente mehr bekommen. Das darf nicht sein."
Und PS-Mann Jean-Pascal Labille gab zu Protokoll: "Wir sind natürlich keine Autisten bezüglich der ganzen Renten-Problematik. Wir wissen genau, dass die Lebenserwartung gestiegen ist." Sprich: Dass etwas gemacht werden muss.
Rentenniveau in Belgien eins der niedrigsten in Europa
"Doch nichts, was bereits beschlossen wurde und was noch geplant wird, sieht danach aus, als ob es eine Verbesserung für die Arbeiter darstellt", sagte Ecolo Co-Präsident Patrick Duprie. Und fügte hinzu: "Ganz im Gegenteil: Eine ganze Reihe von Reformen, die bereits beschlossen sind, sowie andere, die auf die Verlängerung der Arbeitszeit hin abzielen, lassen darauf schließen, dass viele Arbeiter in Zukunft schlechter gestellt sein werden, als heute."
Deshalb müsse man die Bürger über die Maßnahmen aufklären. Sie müssten darauf hingewiesen werden, dass die Entscheidungen der Regierung weh tun werden. Aber nicht unumstößlich seien - im Gegenteil. "Dafür kämpfen wir", sagte PS-Kammermitglied Frédéric Daerden.
Seitens der Gewerkschaften beklagte FGTB-Generalsekretär Robert Vertenueil, dass die Regierung immer nur die Arbeitnehmer dafür verantwortlich macht, wenn sie nicht genug Geld in der Tasche haben. Wenn sie nicht genug Rente haben, dann ist das ihre eigene Schuld. Sie müssen einfach mehr arbeiten. Das ist einfach nicht zu tolerieren, meint Vertenueil. Und Marie-Hélène Ska für die CSC sagte: "Das Rentenniveau in Belgien ist eins der niedrigsten in ganz Europa. Es erlaubt einem großen Teil der Bevölkerung nicht, würdevoll zu leben. Und das ist nicht normal in 2017 in einem entwickelten Land."
Verkehrsbehinderungen
Wegen der Kundgebung kam es im öffentlichen Nahverkehr sowie im Zugverkehr seit dem frühen Dienstagmorgen zu Beeinträchtigungen. Autofahrern wurde geraten, das Brüsseler Zentrum zu meiden.
Die öffentliche Nahverkehrsgesellschaft STIB sicherte einen störfreien Transport zu, bei der Bahn hingegen gab es Behinderungen. Auf den Verbindungen Mons-Brüssel und Tournai-Brüssel fuhr nur jeder zweite Zug. Zwischen Lüttich und Brüssel gab es nur wenig Ausfälle.
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