Knapp war die Abstimmung, und das Ergebnis ein Paukenschlag. Mit qualifizierter Mehrheit stimmten am Montag die EU-Mitgliedstaaten der weiteren Zulassung von Glyphosat in der Europäischen Union zu. Qualifizierte Mehrheit bedeutet zurzeit: Mindestens 16 EU-Staaten, in denen zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bürger wohnen. 18 Staaten stimmten für den Vorschlag, in ihnen leben 65,7 Prozent der EU-Bürger - Mehrheit erreicht. Bösewicht: Deutschland.
Zumindest aus der Sicht der Glyphosat-Gegner. Denn der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU hatte sich nicht an die Spielregeln gehalten. Eigentlich hätte er sich enthalten müssen, weil die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks von der SPD strikt gegen Glyphosat ist. Doch Schmidt stimmte für eine Verlängerung der Zulassung. Und die 80 Millionen EU-Bürger aus Deutschland machten die qualifizierte Mehrheit dann erst möglich.
Deutschland als Schuldigen an den Pranger zu stellen, das traut sich in Belgien aber nur die Presse. "Deutschland verhilft Glyphosat zur erneuten Zulassung", titelt zum Beispiel die Zeitung De Standaard. Belgiens Landwirtschaftsminister Denis Ducarme belässt es bei der lakonischen Feststellung: "Wir nehmen den Beschluss zur Kenntnis. Aber die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat ist eindeutig zu bedauern."
Unbegreiflich
Das drückt den Tenor der belgischen Reaktionen aus. Aus allen großen Parteien – flämischen wie frankophonen – kommt Kritik an dem EU-Beschluss. Von Umweltschützern sowieso. "Es ist unbegreiflich, dass die meisten EU-Mitgliedstaaten es wichtiger finden, die Anliegen der großen Landwirtschaftsbetriebe - des großen Geldes - zu unterstützen. Wobei Europas Rolle doch eigentlich darin bestehen sollte, die Gesundheit seiner Bürger zu beschützen. Und das haben die EU-Staaten in diesem Fall absolut nicht gemacht", sagt Greenpeace-Sprecher Joeri Thijs.
Glyphosat steht im Verdacht, krebserregend zu sein. Letztlich bewiesen ist das zwar nicht. Aber im Zweifel sollte man lieber vorsichtig sein, sagen die Glyphosat-Kritiker. Und auch die meisten belgischen Politiker.
Privatpersonen dürfen in Belgien Glyphosat deshalb auch nicht mehr benutzen, Landwirte dagegen schon. Sie setzen Glyphosat sogar massiv ein, weil es sehr effizient gegen Schädlinge ist. Der wallonische Verband der Landwirte (FWA) freute sich deshalb auch über die EU-Entscheidung.
Doch es könnte sein, dass auch die belgischen Landwirte sich trotzdem bald an Alternativen gewöhnen müssen. Diese gibt es nämlich, wie der wallonische Umweltminister Carlo Di Antonio Dienstagfrüh in der RTBF klarstellte. "Es ist möglich, ohne Glyphosat zu leben. Es gibt heute schon Bauern, und natürlich auch Privatpersonen, die schon immer oder lange ohne Glyphosat zurechtkommen."
Vorbild Frankreich
Es gibt also Alternativen, und auch andere Länder, die gegen Glyphosat sind. Insgesamt stimmten neun Länder gegen Glyphosat, darunter Frankreich, Italien und Luxemburg. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron kündigte nach dem gestrigen Votum enttäuscht sogar an, Glyphosat im Alleingang in Frankreich verbieten zu wollen. Innerhalb von drei Jahren soll das geschehen. Ein machbarer Vorschlag?
Di Antonio findet: Ja. "Das ist eine interessante Idee. Man muss darüber nachdenken, wie wir uns eventuell mit anderen Ländern zusammenschließen können. Auch Luxemburg hat schon signalisiert, dass es gerne schneller einen Glyphosat-Ausstieg anstreben möchte. Allerdings brauchen wir einen Zeitrahmen für die Landwirte."
"Die Idee ist nicht, Glyphosat von heute auf morgen zu verbieten. Die Landwirte brauchen Zeit, sich an Alternativen, an neue Techniken zu gewöhnen. Drei Jahre scheinen mir dafür ein realistischer Zeitraum zu sein", so Di Antonio.
Auch auf föderaler Ebene ist der Gedanke an Partnerschaften schon gereift. "Wenn man mit Ländern wie Frankreich und Italien eine ähnliche Meinung vertritt, in diesem Fall die, sich gegen die weitere Zulassung eines gesundheitsgefährdenden Produkts zu stellen, dann geht es darum, mit diesen Ländern eine gemeinsame Strategie für die Zukunft zu entwickeln", meint Denis Ducarme.
Glyphosat wird es in der EU also mindestens weitere fünf Jahre geben. Ob in Belgien auch, ist nicht sicher. Zurzeit zumindest scheint es einen ziemlich deutlichen politischen Willen zu geben, Glyphosat schon bald ganz aus Belgien zu verbannen.
Kay Wagner