Genau so war man seinerzeit in Westeuropa auf die Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl aufmerksam geworden - durch Messungen in Skandinavien. Die erste Warnmeldung kam aus Schweden. Diesmal war es die französische Atomaufsicht, die Alarm schlug. Ende September wurden erhöhte Werte des radioaktiven Isotops Ruthenium 106 gemessen. Ähnliche Daten gab es aus Deutschland, Italien, Österreich und der Schweiz.
"Ruthenium 106, das ist kein Kinkerlitzchen", warnte Bruno Chareyron, Leiter des CRIIRAD, eines unabhängigen Forschungs- und Informationszentrums, das auf Radioaktivität spezialisiert ist. Das Element ist radioaktiv, und die Strahlung bleibe vergleichsweise lange gefährlich, die Halbwertzeit belaufe sich auf immerhin ein Jahr.
"Keine Panne"
Doch wo kommt die gefährliche Wolke her? Das französische Wetteramt hatte anhand allerlei Simulationen und Berechnungen irgendwann einen Verdacht: Russland. Aus Moskau kam dann aber zunächst das fast schon traditionelle Dementi.
Bis Anfang der Woche: Da gab das russische Wetteramt urplötzlich zu, dass tatsächlich erhöhte radioaktive Strahlung gemessen worden sei. In einer Station südlich des Urals seien große Mengen von Ruthenium 106 registriert worden. Die Ende September gemessene Konzentration lag um das 986-Fache über dem Wert des Vormonats.
"Das darf doch nicht wahr sein!", tobte Jan Vande Putte von Greenpeace Belgien in der RTBF. Die haben seit Wochen die Daten und veröffentlichen sie nicht. Absolut inakzeptabel sei das.
Vielleicht hatte das russische Wetteramt da etwas zu eigenmächtig kommuniziert. Fakt ist, dass die Behörde die eigene Meldung tags drauf schon relativierte. Und von der russischen Atomaufsicht hieß es nur, es habe "keinen Zwischenfall und keine Panne" in einer russischen Atomanlage gegeben.
Verdacht: Majak
Also, nochmal: Wo kommt die Wolke her? Experten glauben, dass vieles auf die Wiederaufbereitungsanlage von Majak hindeutet. Die liegt jedenfalls genau in der Region, in der laut der ersten Meldung des russischen Wetteramtes die extrem hohen Ruthenium-Konzentrationen gemessen wurden. Majak hat im Übrigen eine düstere Vorgeschichte. Dort hatte sich 1957 ein gravierender Atomunfall ereignet, der bislang drittschwerste nach Tschernobyl und Fukushima.
Kommt die Wolke also aus Majak? Wir wissen es nicht, sagt Bruno Chareyron vom Forschungsinstitut CRIIRAD. Und das macht die Sache nicht wirklich angenehmer. Gerade bei Elementen wie Ruthenium und bei solchen Konzentrationen sei es von essentieller Bedeutung, zu wissen, wo die Quelle liegt. Deswegen habe man sich auch an die internationalen Einrichtungen wie die internationale Atomenergiebehörde IAEO und die Weltgesundheitsorganisation WHO gewandt, mit der Forderung: Macht bitte eure Arbeit!
Belgien könnte von der Wolke verschont geblieben sein. Darauf deuten die Daten der Franzosen hin. Auch die belgische Atomaufsichtsbehörde (Fank) hat nichts registriert - "was nicht bedeutet, dass wirklich nichts hier angekommen ist", sagt Fank-Sprecher Sylvain Jonckheere. Die Messgeräte seien so kalibriert, dass sie erst dann ausschlagen, wenn es Riskiken für Mensch oder Umwelt gibt.
Nur: Kann man diese Risiken jetzt grundsätzlich ausschließen? Nein!, sagt Bruno Chareyron. Solange wir nicht wissen, was da passiert ist und wo das war, könne man gar nichts ausschließen. Und es sei doch unfassbar, dass es 31 Jahre nach Tschernobyl da immer noch nicht mehr Transparenz gebe.
Roger Pint
Und ich dachte immer, die Atomenergie sei eine sichere, beherrschbare Technologie...